Das Bild zeigt ein Mädche, das Skateboard fährt. Sie trägt ein Jugendrotkreuz-T-Shirt und eine rote Sonnenbrille.

Bildung mit begrenztem Radius?

Jugendarbeit ist von Mobilität geprägt. JuleiCa-Qualifikation für oberbayerische Ehrenamtliche in Unterfranken oder gar internationale Jugendbegegnung in Israel – wie kann diese Form von Mobilität mit Klimaschutz zusammengehen?

Marko Junghänel
Veronika Winter (c)BJRK
1/2023

Während des „Ammerlander Gesprächs zur Zukunft des Reisens“, das der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung regelmäßig ausrichtet, stellten zwei Aktivistinnen von „Fridays for Future“ im vergangenen Jahr klar:

„Wir werden nie wieder in ein Flugzeug steigen. Fernreisen und internationale Begegnungen müssen angesichts des Klimawandels künftig online stattfinden!“

Zwar ging es bei der Veranstaltung der entwicklungspolitischen Organisation vorrangig um das Reisen im touristischen Sinne, die zwei jungen Frauen formulierten ihr radikales Statement aber auch im Hinblick auf Studienaufenthalte oder Jugendbegegnungen. Man dürfe auch hier nicht mehr so tun als könne alles beim Alten bleiben, so die beiden 17-Jährigen aus München. Starker Tobak für diejenigen, die Jugendarbeit immer auch jenseits der heimischen Komfortzone sehen und organisieren.

Bedeutet das, dass Jugendarbeit nur noch innerhalb eines begrenzten Radius stattfinden kann – dort, wo man per Bus oder Bahn hinkommt? […]

Klimafreundliche Mobilität ist möglich

Jugendarbeit ist mobil. Denn Angebote der verbandlichen, offenen oder kommunalen Jugendarbeit beinhalten immer den Aspekt der räumlichen Entgrenzung, des Hinausgehens in die Welt und der Begegnung mit anderen. Das lässt sich im städtischen Kontext mit den dort gebotenen Optionen vielleicht noch simulieren – für jeden Jugendring oder Jugendverband im ländlichen Raum würde diese unumstößliche Sichtweise der Aktivistinnen kaum lösbare Probleme mit sich bringen.

Jugendarbeit schwimmt dann nur noch im „eigenen Saft“; sie kann keine Impulse weitergeben oder aufnehmen. Gleichzeitig ist aber zu fragen, welche CO2-Bilanz beispielsweise ein außereuropäischer Fachkräfteaustausch hat, welchen ökologischen Fußabdruck eine landesweite Tagung verursacht, die an einem Ort stattfindet, der praktisch nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist.

Die Fachstelle für internationale Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) macht sich zu dieser Zwickmühle längst Gedanken; auch Bundesjugendring, Bayerischer Jugendring oder Kreisjugendring haben längst Positionspapiere zur Mobilität verabschiedet. Was bedeutet
das aber konkret; wie wird sich (internationale) Jugendarbeit verändern?

Mit „Learning Mobility in Times of Climate Change (LEMOCC)“ hat der IJAB ein langfristig angelegtes Projekt aufgesetzt, das Auslandsauf enthalte, Lernmobilität, ehrenamtliches Engagement in der Jugendarbeit vor Ort und internationale Erfahrungen dahingehend erforscht, wie diese Formen von Mobilität in Einklang mit den klimapolitischen Forderungen der Jugendarbeit gebracht werden können. Das Projekt umfasst die aktuell laufende Studie „Listening to young people: Mobility for future“. Sie untersucht erstmals den Zusammenhang von Jugend, Mobilität und Klimawandel aus der Perspektive von jungen Menschen. Die Ergebnisse sind schon jetzt wegweisend für die Zukunft der (internationalen) Jugendarbeit.

Im Rahmen eines Mixed-Method-Designs wurden die Perspektiven junger Menschen zwischen 15 und 30 Jahren aus sieben Ländern untersucht. So waren insgesamt über 1.500 Teilnehmende aus China, Deutschland, England, Estland, Finnland, Frankreich und der Türkei beteiligt. Die Ergebnisse enthalten wichtige Implikationen für Jugendarbeit bzw. Jugendmobilität.

So wurde beispielsweise deutlich, dass junge Menschen über alle beteiligten Länder hinweg den Klimawandel als ein ernst- bzw. sehr  ernstzunehmendes Thema einordnen. Ihre Einschätzung zur Bedeutung des Reisens für den Klimawandel hängt jedoch eng mit ihren persönlichen Mobilitätserfahrungen zusammen.

Junge Menschen, die häufiger mobil sind, schätzen die im Rahmen von Reisemobilität entstehenden Klimabelastungen höher ein als diejenigen, die seltener reisen. Für die Jugendarbeit kann dies bedeuten, neu(er)e Reiseformate mitzudenken und dem Wunsch nachzukommen, ausschließlich klimafreundliche und nachhaltige Mobilitätsoptionen anzubieten, denn:

Junge Menschen sind bereit, ihre Art von Mobilität anzupassen, indem sie sich etwa klimafreundlicher Transportmittel bedienen oder seltener reisen, dafür jedoch längere Aufenthalte einplanen. Insgesamt zeigt die Studie, dass junge Menschen im Rahmen ihres Einsatzes für Fragen der Klimasensibilität ihrem individuellen Handeln und ihrer persönlichen Verantwortung eine hohe Bedeutung zuschreiben. Dies gilt auch für ihre Wünsche hinsichtlich einer klimasensiblen Jugendmobilität. So ist für sie beispielsweise auch eine vegetarische oder vegane Ernährung relevant – und dies nicht nur im Alltag, sondern auch beim Reisen; also auch bei Jugendbegegnungen oder Veranstaltungen der Jugendarbeit.

„Wir sind die Generation, die diesen Planeten in Zukunft braucht!“

Grundsätzlich gilt: Junge Menschen müssen (mehr) gehört werden und Möglichkeiten bekommen, sich transnational in ihrem Engagement und in ihren Diskussionen zu vernetzen und auszutauschen. In einem Punkt sind sich alle Befragten einig: Jugendliche müssen und sollen reisen. Sie sollen die Welt sehen, Kulturen erleben und Erfahrungen sammeln – all das erleben und selbst gestalten, was Jugendarbeit und Jugendbegegnung ausmacht. Denn das ist ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens, des Über-sich-Hinauswachsens. Auch wenn viele Projekte und Veranstaltungen seit Ausbruch der Pandemie online stattfinden: Virtuelle Meetings ersetzen Erfahrungen im realen Leben nicht, oder zumindest nicht vollständig.

Wo sollte also angesetzt werden? In einem Aktionsplan werden die Ideen der Jugendlichen, die im Rahmen der Befragung entstanden sind, zusammengetragen und konkretisiert. Herauskristallisiert hat sich, dass Politik unter Zugzwang steht. Denn man macht es sich leicht, aus schließlich die Jugendmobilität an den Pranger zu stellen. Stattdessen sind generelle politische Veränderungen nötig, um den CO-Ausstoß zu reduzieren, wie beispielsweise die Energiewende, eine Verringerung von Massentierhaltung oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Konkret wünschen sich die Jugendlichen günstigeres Zugfahren, einen Ausbau der Digitalisierung oder nachhaltige Materialien während des  Aufenthaltes. Denn wie eine der Teilnehmenden zusammenfasst:

„Wir sind die Generation, die diesen Planeten in Zukunft braucht!“ Und dafür ist ein Umdenken in vielen Lebensbereichen essenziell.

Autor: Marko Junghänel aus Lichtenstein, Jahrgang 1968, Kommunikationswissenschaftler und Politologe Redakteur bei „K3“

Dieser Artikel ist erschienen in „K3“, 28. Jahrgang, Ausgabe 5, Dezember 2022