Zwei Wochen Frankreich

Im August 1999 konnten drei Jugendrotkreuzlerinnen als Stipendiaten der Leonore-von-Tucher-Stiftung zwei Wochen in Montpellier verbringen und dort an einem Sprachkurs teilnehmen. In ihrem Bericht schildert uns Julia Riegler, wie inhaltsvoll diese seit war. 

Julia Riegler
1/2000

Recht spät erreichte mich und die zwei anderen Mädchen aus Bayern die Zusage, dass wir für die diesjährige Sprachreise der Leonore von-Tucher-Stiftung ausgewählt wären. (Die offizielle Zusage erreichte mich sogar erst, als ich schon wieder  zu Hause war!) So fuhr ich doch recht beklommen, mit spärlichen Informationen versehen, am 1. August zum Münchner Flughafen. Dort bekamen wir von Karin Hölscher als Abgesandte des Referats die Tickets und letzte Anweisungen und  lernten uns auch kennen. Letztendlich sahen wir uns vor einem Haufen Flugtickets, Koffern und Abflugterminen und stiegen, ganz auf uns allein gestellt, in den Flieger nach Paris / Charles de Gaulle. Dort mußten wir mit dem Shuttle Bus nach  Paris / Orly umsteigen. Schon hier setzte das Chaos ein, denn hätte das Flugzeug nicht eine Dreiviertelstunde Verspätung gehabt, hätten wir es verpaßt und wären an diesem Tag nicht mehr nach Montpellier gekommen. Doch letztendlich lief  alles glatt. Am Flughafen in „unserer“ Stadt wurden wir von unseren Familien schon erwartet. Hier ging alles so schnell, dass ich mich gar nicht mehr richtig von den anderen verabschieden konnte. Aber man würde sich ja am nächsten Tag in der Schule Wiedersehen. Auf der Fahrt nach Grabeis erfuhr ich, was französisches Familienleben bedeutet: Stress! Die beiden kleinen Jungs (Kinder sind in Frankreich sowieso die „Kings“) quengelten die ganze Fahrt, und der Fahrstil des Gastvaters  ließ Alarmglocken in mir schrillen, ln den nächsten zwei Wochen lernte ich, dass jeder so fuhr. Jedenfalls war ich heilfroh, als wir endlich im neuen „Zuhause“ angekommen waren. Mit meiner Gastfamilie hatte ich es sehr gut getroffen. Die beiden Drei- und Fünfjährigen zeigten mir das ganze Haus, und meine Gasteltern sprachen für mich extra langsam und deutlich. Auch insgesamt nahm man sehr viel Rücksicht auf mich. Das Essen war vor allem sehr gut. Am nächsten Tag fing der  Unterricht an. Meine Gastmutter setzte mich in Montpellier ab, bevor sie zur Arbeit fuhr. So stand ich da, in dieser großen Stadt und wußte so ungefähr, wohin ich zu gehen hatte. Was hatte sie noch gesagt? Nach rechts, durch die Straße, dann  müßte die Schule irgendwann kommen. Und wenn ich nach links anstatt nach rechts gehen würde, käme ich an die Bushaltestelle, um am Abend nach Hause zu fahren. O.k., die Schule zu finden war nicht schwer, bei der Bushaltestelle war es  anders. Es gibt in Montpellier nämlich mindestens 500 Bushaltestellen. Aber mein Einstiegsplatz war ein „gare“, d.h. ein Busbahnhof! Und 50 Linien in 600 verschiedene Richtungen! Es dauerte lange, aber dann erfuhr ich doch, welche Buslinie  die richtige war. Aber zurück zur Schule. Wir drei vom JRK waren pünktlich und betraten gemeinsam mit Herzklopfen die „Organisation du 4 ciels“. ln unserem Kurs waren Jugendlichen aus aller Welt. Da gab es Allistair aus England, Simone aus Holland, Kristoffer aus Schweden, Mike aus Mexiko und Carmen aus Spanien. Unsere Lehrerin Julie gab sich sichtlich Mühe, den Unterricht so kurzweilig wie möglich zu gestalten. Ich selbst mag die französische Sprache sowieso gern, aber mit dieser internationalen Truppe war es ein echtes Erlebnis. Jeder versuchte, mit seinem speziellen Akzent. Mal bearbeiteten wir spezielle Aufgaben, mal schrieben wir eine kleine Geschichte, führten ein Quiz durch oder spielten „Tabu“, alles auf französich. Man kann sich kaum vorstellen, dass Ferienunterricht so viel Spaß macht. Die Stunden rasten wie im Flug vorbei. Die Ortskundigen zeigten uns im Anschluß die Stadt. Montpellier ist zwar zur Zeit im Umbruch, man baut gerade eine Straßenbahn ein, aber dennoch war ich fasziniert, vor allem von der Altstadt mit ihren Denkmälern und Brunnen. In der Fußgängerzone fanden wir auch bald unseren Stammplatz, direkt neben einer der schönsten „fontaines“. Ziemlich schockiert waren wir allerdings über die vielen Bettler und Penner mitten in der Stadt, die die Vorübergehenden um einen Franc anbetteln. Aber zurück zum angenehmen Teil  des Tages. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir bei viel Sonne und viel, viel Sand in den Schuhen am Strand von Palavas. Viele ähnliche geruhsame Strandnachmittage sollten folgen. Einer allerdings nahm einen dramatischen Verlauf. Alles begann recht amüsant. Die ganze Gruppe traf sich mit den Eltern und Dudley, einem der Organisatoren, am Strand zum Picknick. Um halb neun wurde das Buffet eröffnet. Schon jetzt zogen dunkle Wolken auf, so dunkel, wie ich sie nie  vorher gesehen hatte. Aber keiner machte sich besondere Sorgen, bis es heftig zu blitzen anfing. Und innerhalb von zehn Minuten schlug das Blitzen in Gewitter um, das Gewitter in einen Sandsturm, der Sandsturm in heftigen Wolkenbruch, dieser in Hagel mit Körnern von Golfballgröße. Man konnte schon nicht mehr sehen, die Augen waren voller Sand, der Wind peitschte uns Eis ins Gesicht, wir bekamen auch Angst. Hinter einer kleinen Hütte am Strand fanden wir etwas Schutz, bis der Hagel etwas nachließ. Dann rannten wir so schnell wie möglich zum Auto. Triefend nass aber erleichtert kamen wir zu Hausean. Dort wurde uns erst bewußt, wieviel Glück wir noch gehabt hatten. Das Wochenende verbrachte ich mit meinen Gasteltern in Marseille und Nimes. Marseille übertraf alle meine Erwartungen, mit seinem Hafen, dem pulsierenden Nachtleben, dem herrlichen Blick von der Basilika „Notre Dame de la Garde“, dem riesigen „Stade Velodrome“ sowie dem Strand und den herrlichen Parks. Und die „arenes“ und der „jardin de la fontaine“ im schönen Nimes bildeten das Tüpfelchen auf dem i. Witzig war eine Stadtralleye, die einen ganzen Tag ausfüllte. Unser Stadtführer schien noch weniger Ahnung von Montpellier zu haben als wir. So kurvten wir wirr herum, um die Fragen eines Rätsels zu beantworten, und lernten dabei dieses wunderschöne Montpellier noch besser kennen, entdeckten versteckte Schönheiten und fanden heraus, wo die  wirklichen Geheimtips in Sachen Restaurants lagen. 

Kathrin und Karolin vor dem „fontaine du marche“ in der Fußgängerzone von Montpellier

Dieser Tag machte wirklich Spaß, und am Abend war ich auch ziemlich geschafft. Doch auch alle anderen Tage waren voll gefüllt, z.B. mit einem Besuch im Zoo, in Museen, dem „musee d'anatomie“ oder dem „musee fahre“. Mit der ganzen Gruppe und Dudley trafen wir uns zu einem Abschlußessen in einem der Restaurants in den kleinen Seitengässchen. Da wurde es ziemlich spät, so dass wir den nächsten und letzten Tag mit unsereren neuen spanischen, holländischen, schwedischen, englischen ... Freunden das Programm im Unterricht und nachmittags am Strand etwas langsamer angehen ließen. Am Abend verabschiedeten wir uns endgültig, es wurden Adressen ausgetauscht und Tränchen vergossen. Der Kontakt für diesen Aufenthalt war damit beendet, aber sicher nicht für immer. Bei meiner Gastfamilie erwartete mich eine tolle Abschiedsfeier im kleinen Kreis. Ich durfte die Kultur noch einmal richtig erleben, und meine „Familie“ kümmerte sich, wie die ganzen zwei Wochen, wahnsinnig liebewoll um mich, half mir packen, richtete mir ein Lunchpaket für den nächsten Tag, den Abflugtag. Am Treffpunkt, an dem uns das Taxi zum Flughafen abholen würde, wurde es dann so richtig hart. Nur schwer konnte ich mich von meiner Gastfamilie verabschieden und trennen. Am liebsten hätte ich sie alle, vor allem den älteren Sohn, einfach mitgenommen. Ich drehte mich jedenfalls nicht mehr um, als das Auto losfuhr,  sonst hätte ich wohl losgeheult. Auf dem Rückflug erlebte ich ein richtiges Wechselbad der Gefühle. Frankreich mit Land und Leuten, die neuen Bekanntschaften und Erfahrungen, das alles hat meiner Sicht- und Denkweise nachhaltig beinflusst. Allein die Andersartigkeit zu erleben ist einfach einzigartig und unvergesslich. Und wie steht es mit meinen Sprachkenntnissen? Ob ich jetzt besser französisch spreche, kann ich selbst schlecht beurteilen, aber auf jeden Fall geht es viel leichter. Die Hemmung, etwas auf französisch zu sagen, ist einfach weg. Man mußte sich einfach trauen! Gerade die Franzosen legen auch sehr viel Wert darauf, dass in ihrem Land auch ihre Sprache gesprochen wird, englisch ist geradezu verpönt. So wurde die Selbstständigkeit auch sehr wichtig für mich, denn wenn man einmal mitten in Marseille steht und nicht mehr weiß, wo auf der Karte links und rechts ist, bzw. keiner da ist, auf den man sich verlassen kann, dann muß man einfach selbst handeln, und mit dem Erfolg wächst das Selbstbewußtsein. Einfach mal auf eigenen Beinen stehen und Verantwortung übernehmen, das war in diesen zwei Wochen mindestens genauso wichtig wie die Frage: „Oü est la toilette, deutsch: Klo?“) „Wo ist (das Klo?)"  

Titelbild: Herzklopfen vor dem großen Abenteuer: Julia Riegler, Karolin Leitermann und Kathrin Jeßberger vor dem Abflug (v.l.)