Wer liebt sich schon ständig selbst?

Selbstakzeptanz statt Selbstoptimierung

Julischka Stengele
2/2021

Bodypositivity, Self-Care und Co. sind in aller Munde. Zahlreiche Tutorials, Texte und Spruchbilder bieten Unterstützung dabei, auf sich zu achten, sich selbst etwas Gutes zu tun und ein positives Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln.

Schön eigentlich! Schade nur, dass statt Selbstakzeptanz dabei meist Selbstoptimierung promotet wird.

Handys, Bildschirme, Wartezimmer und der öffentliche Raum werden vollgespült mit subtilen Leistungsansprüchen in Form von Aufforderungen, die als Weisheiten getarnt den Weg zu einem glücklicheren und erfüllten Leben weisen sollen.

Einer dieser Leitsprüche, der mich besonders ärgert, lautet:

„Nur wer sich selbst liebt, kann auch von anderen geliebt werden“.

So oder so ähnlich wird dieser scheinbar harmlose Spruch tausendfach geteilt und in bester Absicht sorglos nachgeplappert.

Was mit solchen oder ähnlichen Aussagen verbreitet wird, ist aber keine Unterstützung, sondern die fatale Botschaft, dass man erst etwas an sich ändern muss, um Wertschätzung und Liebe erfahren zu können. Dass man etwas dafür tun muss, um geliebt zu werden.

Für Menschen, die mit einem geringen Selbstwertgefühl kämpfen – egal ob temporär, immer oder immer wieder –, ist so eine Botschaft ein Schlag ins Gesicht und mindestens entmutigend.

„Sorry also – wenn Du an Dir zweifelst, gibt’s leider keine Liebe für Dich. Wenn Du’s dann irgendwann geschafft hast, Dich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, und Dich wie die geilste Sau auf Erden fühlst, können wir weiterreden. Also streng Dich mal schön an. Bis dahin: Pech gehabt!“

Du lebst in einer Gesellschaft, in der Menschen wie Du, Körper wie Deiner diskriminiert werden, und Dich selbst zu lieben fällt Dir schwer? Du lebst mit einer chronischen Depression? Einer Persönlichkeitsstörung? Einer Behinderung? Andere Menschen auf der Straße spucken Dich an und beschimpfen Dich aufgrund Deines Aussehens? Egal, trotzdem. Du musst Dich lieben.

Die Geschichte hat eine Doppelmoral. Selbstablehnung ist erlernt – mit tatkräftiger Mithilfe von außen. Wenn ich von meiner Umwelt permanent vermittelt bekomme, dass ich nicht liebenswert bin, dass ich Respekt und Wertschätzung nicht verdiene, kommt zwangsläufig irgendwann der Punkt, an dem ich unsicher werde und mich vielleicht nicht länger vom Gegenteil überzeugen kann.

 

Zum Beispiel: Ich bin mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und erlebe, wie Menschen sich empört von mir wegsetzen, ihrem Ekel vor meinem Körper Luft machen oder fordern, ich solle ein zweites Ticket lösen, weil sie finden, ich würde so viel Raum einnehmen.

 

Oder: Ich habe Schmerzen und/oder fühle mich nicht gut und suche medizinische Hilfe. In der Praxis werde ich aufgrund meines Körpers und/oder meiner Identität(en) abschätzig behandelt oder auch offen beleidigt, gründliche Untersuchungen oder mögliche Hilfsmaßnahmen werden mir vorenthalten.

 

Ich lerne: Ich bin es nicht wert, dass man sich um mich kümmert.

 

Die Folge: Ich gehe nicht mehr hin, wodurch sich mein Zustand verschlechtert, was von anderen wiederum als mangelnde Selbstfürsorge interpretiert wird.

Mich davon nicht runterziehen zu lassen, für mich einzustehen und gegen die Verinnerlichung des Blicks von außen anzukämpfen, kostet unglaublich viel Kraft. Kraft, die Menschen mit psychischen Erkrankungen, mit Traumata, mit Diskriminierungserfahrungen immer wieder fehlt.

Und das Letzte, das wir dann brauchen, ist, darin bestätigt zu werden, dass wir (so) nicht geliebt werden können.

 

Fakt ist: Unser aller Selbstwert wird durch Liebe und Fürsorge von anderen genährt und mit aufgebaut. Bestätigung von außen tut uns allen gut. Besonders in Zeiten, in denen wir uns selbst schwertun, uns selbst zu lieben.

 

Und mal ehrlich: Wer liebt sich schon ständig, jeden Zentimeter zu jeder Zeit und jeden Tag? Selbstliebe und Selbstakzeptanz sind ein Prozess, heilen, verlernen und neulernen sind ein Prozess. Ein Weg, auf dem ich begleitet und unterstützt werden will – auch und gerade dann, wenn’s mal nicht aufwärts oder vorwärts geht.

Die Autorin:

Julischka Stengele lebt als Künstlerin und Kulturschaffende in Wien. Sie schreibt regelmäßig für die "leib und leben"-Kolumne im feministischen Magazin "die an.schläge" und gibt Empowerment-Workshops zu Körperthemen.