Zeit und Demenz

Ein anderes Hier und Jetzt.

Anna Wetterich
© Free-Photos (Pixabay)
1/2021

Zeit kann in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgeteilt werden. Das hier und jetzt ist momentan bei mir Dienstag, der 8.Dezember 2020 um 12:01 Uhr. Alles davor ist vergangen und alles was jetzt folgt ist zukünftig. Doch es gibt auch Menschen unter uns, für die es gerade in ihrem Kopf nicht das Jahr 2020 ist oder für die es gerade am Abend – sagen wir 18:00 Uhr ist.

 

Das kann zum Beispiel an einer Krankheit liegen: der Demenz.

 

Davon habt Ihr bestimmt schon mal gehört. Bei dieser Krankheit baut das Gehirn immer mehr ab und funktioniert nicht mehr wie bei Dir oder mir. Immer mehr, vor allem ältere Menschen sind von dieser Krankheit betroffen. Durch den Abbau im Gehirn hat man seinen Körper nicht mehr so richtig unter Kontrolle oder verlernt sogar ganz einfache Dinge, wie sich eine Jacke anzuziehen. Und auch die Zeit nehmen sie anders wahr:

Nehmen wir Frau F. Sie ist eine 70-jährige Frau und Witwe, ist eine Mutter von zwei Kindern und hat sogar 4 Enkelkinder. Wenn Du nun Frau F. fragst, wie alt sie ist, antwortet sie Dir: „Ich bin 35 Jahre alt“. Dann erzählt sie weiter, dass ihr Mann gerade auf der
Arbeit ist und heute Abend um 19:00 Uhr nach Hause kommt. Sie muss jetzt noch schnell kochen und hat überhaupt keine Zeit für ein langes Gespräch, da ihre zwei Kinder gleich von der Schule kommen. „Da muss doch das Essen auf dem Tisch sein.“ Nach den Hausaufgaben schickt sie ihre Kinder an einem so schönen Frühlingstag zum Spielen nach draußen. Auf die Frage, welchen Tag wir heute haben, antwortet sie: „Es ist April. So einen schönen April hatten wir noch nie!“

 

Sie lebt also im Moment – am Dienstag, den 8. Dezember 2020 um 12:01 Uhr – im Jahr 1985. Und für sie ist es Frühling.

Als Tipp für Euch, wenn auf einen Menschen mit fortgeschrittener Demenz, wie Frau F. trefft: Sagt ihr nicht, dass es doch Dezember im Jahr 2020 ist, und auch nicht, dass ihr Mann schon im Himmel ist. Das würde sie nur sehr verwirren und sie könnte damit nicht umgehen. Unterhaltet Euch mit ihr über das Wetter im April und darüber, was sie denn kocht. Versetzt Euch selbst in ihre Welt. Denn das tut ihr gut.

Ein kleines Gedankenspiel

 

Stell Dir vor, Du bist in einer Stadt in einem anderen Land. Nachdem Du den ganzen Tag allein umhergelaufen bist, weißt Du auf einmal nicht mehr, wo Du bist und wie Du wieder zurück ins Hotel kommst. Nichts kommt Dir bekannt vor. Ganz altmodisch sprichst Du vorbeilaufende, fremde Menschen an. Die verstehen Dich aber nicht und sprechen wiederum mit Dir in ihrer Sprache, die Du nicht verstehst. Dann fühlt man sich doch ganz verloren, oder?

 

Menschen mit Demenz verlieren nach und nach das Gefühl für Zeit, Ort und Personen. So kann es passieren, dass sie sich sogar in ihrem eigenen Zuhause plötzlich verloren fühlen.