Heiden - Dunants letzte Lebensstation

Das Dunant- Museum oberhalb des Bodensees

Gerhard Grimm
2/2004

Mühsam schnauft die alte Dampflokomotive die gewaltige Steigung der Hügel am Südufer des Bodensees empor. Ruckelnd drückt sie den Personenwagen vor sich her, während sie sich mit dem Zahnrad langsam an der Zahnstange vorwärts zieht. Unter den Insassen des Wagens sitzt ein unscheinbarer alter Mann, ärmlich gekleidet, mit wenig Gepäck und offensichtlich nicht bei bester Gesundheit, Er ist müde zusammengesunken, seine Gedanken scheinen weit zu entfleuchen, während vor seinen leeren Augen die Landschaft im Fußgängertempo vorüberzieht. Seine Reise hat ihn mit der Dampfeisenbahn von Stuttgart nach Rohrschach geführt, wo er auf die Zahnradbahn nach Heiden umgestiegen ist. Viele jahre war er vorher ruhelos durch Europa geirrt. Es ist ihm noch nicht bewusst, dass die Gegend um Heiden seine Heimat für den Rest seines Lebens werden wird.

Henry Dunants Morgenrock

Von der kleinen Endstation in Heiden führt sein Weg hinüber in die Pension "Zum Paradies", in deren einfacherem Nebengebäude er sein bescheidenes Quartier aufschlägt. Da seine Quartiergeber die Pension verkaufen, zieht er mit ihnen ins "Lindenbühl'' nach Trogen, eine Unterkunft fernab jeglicher Ansiedlung. Trotz der guten Luft drückt das neue Heim schwer auf sein Gemüt. Auch die gesundheitlichen Beschwerden nehmen zu. Der weitere Weg führt ins Kantons-Spital in Heiden, wo ihn der leitende Arzt Dr, Altherr mehr als Pensionär denn als Patienten aufnimmt. Scheu und zurückgezogen lebt der alte Herr, dessen einzige Lichtblicke gelegentliche Besuche im Hotel, .Freihof' sind, das von Frau Altherr geleitet wird, mit der er sich in seiner Muttersprache Französisch unterhalten kann.

Allmählich öffnet sich der scheue Gast etwas seinen Gastgebern gegenüber, die staunend erfahren: Dieser Henry Dunant hat vor langen Jahren mit beispiellosem persönlichen Einsatz die humanitäre Organisation des Roten Kreuzes geschaffen. Während er diesem zarten Pflänzchen auf rastlosen Reisen durch die Länder Europas die Beete zum Wachsen bereitet hat, ging seine berufliche Laufbahn zu Bruch und seine Heimatstadt Genf verstieß ihn ohne Möglichkeit zur Rückkehr. Trotz bitterer Not blieb er seinen Idealen und Visionen treu und setzte sich pausenlos für die Belange der Humanität ein. Nun ist er nur noch müde und ausgebrannt. Er ordnet seine Ideen und Erinnerungen, die er in 113 Schulheften festhält und zur Veröffentlichung vorbereitet. Er will endlich als Gründer des Werks anerkannt werden, das sich mittlerweile äußerst erfolgreich über die Welt verbreitet. Der Journalist Baumberger verschafft ihm durch einen Artikel die Gelegenheit dazu, so dass eine Welle der Reputation um die Welt schwappt. Geldspenden treffen ein und der erste Friedensnobelpreis krönt das Werk.

Das ehemalige Kantonsspital in Heiden

Dunant hat auch in Heiden mit wenigen Unterstützern einen Ortsverband des Roten Kreuzes gegründet. Einladungen, Mitgliederlisten und Protokolle von seiner Hand haben sich bis heute erhalten. Mit weiteren Erinnerungsstücken waren sie seither in einem Raum des Kantons-Spitals ausgestellt. Als dieses in einen Neubau umzog, entstand aus dem Ortsverband des Roten Kreuzes ein Förderkreis für ein Dunant-Museum. Nach der Renovierung des Gebäudes wurden 1998 einige Räume als Museum eröffnet. Das Dunant-Museum in Heiden ist seitdem die Gedenkstätte schlechthin für diesen großartigen Philanthropen.

Ein Videofilm führt den Besucher ins Leben und Wirken Henry Dunants und seine Verbindung mit Heiden ein. Der anschließende Museumsrundgang kann für jugendliche Besucher als Suchspiel gestaltet werden und das ehrenamtliche Museumspersonal kümmert sich auch liebevoll um Beschäftigung für die jüngsten Besucher.

Der erste Raum widmet sich zuerst Dunants Leben von 1828 bis 1859, Einfühlsam wird der Besucher an die Zeit herangeführt und findet Verständnis für die Lebensweise und den Calvinismus im Genf der damaligen Zeit. Bilder, Texte und Erinnerungsstücke bieten im ganzen Museum interessante Informationen und lassen den Besuch nie langweilig werden. Einen Schwerpunkt bildet dann der Zeitraum 1859 bis 1862 mit der Schlacht von Solferino und der "Erinnerung an Solferino“, die in einem ledergebundenen Exemplar im Original ausgestellt ist. 

Rekonstruktion des Zimmers von Dunant mit seinem Lehnstuhl

Ein eigener zweiter Raum befasst sich mit der Gründung des Roten Kreuzes und des Humanitären Rechts von 1863 bis 1867, Das "Komitee der Fünf" und die beiden Genfer Konferenzen, die in der Unterzeichnung der Genfer Konvention im Alabama-Saal des Genfer Rathauses gipfelten, werden dem Besucher anschaulich nahe gebracht.

Mit Dunants wirtschaftlichem und beruflichem Ruin im Jahre 1867 beginnt die Darstellung des Zeitraumes von 1887 bis 1910 im dritten Raum, Nach Jahren ruhelosen Herumirrens hat sich Dunant in Heiden niedergelassen und persönliche  Erinnerungsspuren hinterlassen, Die Atmosphäre des Biedermeierdorfes und Molken-Kurortes Heiden wird durch Zeitzeugnisse heraufbeschworen. In einer Teilrekonstruktion von Dunants Zimmer sind persönliche Erinnerungsstücke aus seiner Heidener Zeit ausgestellt.

Die Gedenktafel

Der vierte und letzte Museumsraum widmet sich Dunants Visionen, der ruhelos bestrebt war, die Welt etwas friedlicher zu gestalten, wenn auch viele seiner Visionen erst in unserer heutigen Zeit in Form internationaler Organisationen Realität wurden, Als gläubiger Christ versuchte er sein Denken und das Weltbild seiner Zeit in vier großen Wandbildern zu ordnen und zu erfassen, die den Mittelpunkt des Ausstellungsraumes bilden.

Gelegentliche Sonderausstellungen runden das Bild ab.

Ein Dunant-Rundweg führt durch Heiden zu einem Denkmal, das an der Stelle steht, die das Lieblingsziel für Dunants seltene Spaziergänge war, da von dort der Blick grenzenlos über den tief unter ihm liegenden Bodensee schweifen konnte, der ihn so sehr an seinen geliebten Genfer See erinnerte.

Für einen begeisterten Rot-Kreuzler ist der Besuch dieses Museums und des Ortes einer langen Lebensphase des Gründers der Bewegung schlichtweg ein Muss!