Das Denken besetzen - Ein Kommentar

Die schwarz-weiß-roten Fahndungsplakate nach Mitgliedern der RAF, die in den meisten Sparkassen und Postfilialen aushingen: Das sind meine frühesten Erinnerungen daran, wie mir in den frühen 80er Jahren zum ersten Mal erklärt wurde, was Terroristen sind.

Text: Dirk Irler
4/2016

Auch wenn die Art und Häufigkeit der Berichterstattung uns das manchmal vergessen lässt, das Konzept des Terrorismus ist kein neues; keines, welches uns erst seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 beschäftigt.

Zweck von Terror ist es, Angst und Unsicherheit zu säen. Uns als Rotes Kreuz trifft dies in gewisser Weise zweifach: Uns treibt nicht nur die Sorge um die eigene Unversehrtheit und die unserer Familien und Freunde an, sondern auch die Frage, was ein Anschlag für uns als Rettungskräfte bedeutet. Wir sind routiniert darin, Menschen in Notlagen zu helfen. Das ist unser normales Tagesgeschäft. Auch in unvorhergesehenen Großschadensfällen stellen Haupt- wie Ehrenamtliche regelmäßig unter Beweis, dass sich die Bevölkerung auf uns verlassen kann. Was aber nun, wenn die Gefahren für uns Einsatzkräfte nicht nur aus den technischen Gegebenheiten entstehen – droht der LKW umzukippen, könnte das Gebäude einstürzen? Was, wenn wir zudem befürchten müssen, dass Gefahren auf uns lauern, die gezielt geschaffen wurden, um uns zu schaden, mit dem Ziel, den Schrecken noch zu vergrößern?

Ich habe vollstes Verständnis für die diesbezüglichen Sorgen und Bedenken unserer einsatzführenden Gemeinschaften. Und ich bin ausgesprochen dankbar für das Engagement unserer haupt- und ehrenamtlichen Leitungskräfte, die bestrebt sind, auf diesen Bedarf zu reagieren. Mit dem geplanten Ausbildungszentrum für Katastrophen- und Terrorabwehr haben sie bereits erste Erfolge erzielt. Zu keinem Zeitpunkt möchte ich in Frage stellen, dass wir als Rotes Kreuz mit der Zeit Schritt halten müssen. Dass wir uns neuen Entwicklungen stellen und soweit möglich mit Ausstattung und Ausbildung darauf reagieren müssen.

Dennoch sehe ich mit Unbehagen, welche Rolle wir seit einiger Zeit in den Medien einnehmen. „BRK: Vorbereitet auf den Kampf gegen Terror“. „Anti-Terror-Ausbildung für Sanitäter des BRK“. „Rotes Kreuz stellt sich auf Terror- und Amokeinsätze ein“ – nur einige der Schlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate. In gewissem  Rahmen verstehe ich das. So lange wir als Rotes Kreuz keine Skandale produzieren, rennt uns die Presse im Regelfall nicht unbedingt die Türen ein. „Terrorismus“ ist für unsere Verhältnisse ein sehr dankbarer, sehr medienwirksamer Begriff. Aber sollten wir uns dieser Versuchung in dem Maße hingeben?

Terrorismus will Angst und Schrecken verbreiten und Unsicherheit. Kaum ein schreckliches Attentat vergeht, ohne dass Rufe nach strengeren Gesetzen, intensiverer Überwachung und mehr Sicherheit laut werden. Und nicht nur einem dieser Rufe wurde in den vergangenen Jahren statt gegeben – Beleg dafür, dass unsere Furcht vor Terror bereits ausgeprägt genug ist, um unsere Freiheiten zu beschneiden. „Der Terrorist besetzt das Denken“, schrieb Franz Wördemann bereits in den 70er Jahren, und wie es aussieht, mit Erfolg.

Wir als Rotes Kreuz haben uns dem Schutz der Bevölkerung verschrieben. Aber sollten wir diesen Schutz darauf beschränken, Wunden zu verbinden und Leben zu retten? Könnten wir nicht auch zu diesem Schutz beitragen, indem wir der Verlockung von Schlagzeilen widerstehen, und uns – wie wir das immer getan haben – im Hintergrund auf unsere Aufgaben vorbereiten? In den 20 Jahren, die ich im Rettungsdienst tätig war, habe ich nicht wenig Ausrüstung kommen und gehen sehen. Ich kann mich an keinen Gegenstand erinnern, der ein Presseecho erzeugt hätte, wie die derzeit eingeführten Tourniquets, die als „militärische Ausstattung“ Schlagzeilen machten.

Insbesondere in Zeiten sinkender Spendenbereitschaft ist Medienpräsenz für uns mit Sicherheit wichtiger denn je. Allerdings sollte uns bewusst sein, dass jede Schlagzeile, die die Worte „BRK“ und „Terror“ in sich trägt, einen Preis darstellt, den wir vor uns und unseren Idealen verantworten müssen.