Interkulturelles Lernen

„Bleib so, wie Du bist!“ schreibt man gern auf Geburtstagskarten an gute Freunde. Eine gut gemeinte Äußerung, die aus der Sicht des interkulturellen Lernens aber niemandem zu wünschen ist.

ds
4/2008

Nicht nur auf Reisen in ferne Länder, auch in unserem Alltag werden wir mit Unbekanntem konfrontiert. „Fremdes“ muss dabei nicht mit einer anderen Nationalität verbunden sein. Die Begrüßung meines spanischen Kollegen kann mir genauso komisch vorkommen wie die Arbeitsweise meiner norddeutschen Kollegin. Seltsam auch, dass der Rentner von nebenan immer so nah ran kommt, wenn er mit mir redet und als ich neulich im Konzert eines amerikanischen Gospelchors war, fingen plötzlich alle an, lautstark mitzusingen und sogar zu tanzen. Warum muss der Punk am Bahnhof eigentlich gerade mich anschnorren?

Unbewusst begegnen wir allem „Fremden“ mit unseren eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsrastern. Unsere kulturellen Werte sind ein Teil von uns und bestimmen, wie wir denken, fühlen und handeln. Das, was wir gelernt haben, ist für uns normal und selbstverständlich und deshalb betrachten wir Neues durch unsere „kulturelle Brille“. Diese Sichtweise kann dazu führen, dass wir das Fremde nicht verstehen. Wir ziehen falsche Schlüsse und lehnen das Unbekannte vielleicht sogar ab. Oft fühlen wir uns dann unsicher oder unwohl und das kann in unserer vielfältigen Welt ziemlich hinderlich sein. Umdenken ist also angesagt! Warum nicht das irritierende Fremde als Chance nehmen, etwas dazuzulernen und Veränderungen zuzulassen? Wie das gehen kann? Im Grunde ganz einfach: Ich setze bei mir selbst an und mache mir bewusst, dass ich Neues immer aus meiner persönlichen Perspektive heraus wahrnehme. Ich sage z.B. nicht „Wie komisch, dass der arabische Mann von gegenüber einen Turban
trägt!“, sondern ich frage „Warum fi nde ich es eigentlich komisch, dass der arabische Mann von gegenüber einen Turban trägt?“ In einem nächsten Schritt versetze ich mich dann in die Lage des Fremden und überlege, was ihn wohl zu seinem Verhalten bewegt. In unserem Beispiel mit dem arabischen Nachbarn überlege ich mir “Welche Gründe hat er wohl dafür, einen Turban zu tragen?“ (Übrigens: Ist der Mann überhaupt Araber? Und: Nicht alle arabischen Männer tragen Turban, genauso wenig wie alle deutschen Männer gern Bier trinken!)

Ich beobachte, stelle mir – und ruhig auch den anderen – Fragen und mache mir dabei bewusst, dass meine Lebensweise nicht die einzig wahre ist. Klingt einfach. Aber bilden wir uns nicht ganz oft automatisch Urteile, ohne vorher nachzudenken?

In einem weiteren Schritt beginne ich, das Neue mit meinen Erfahrungen und Kenntnissen zu verarbeiten und versuche, es anzuerkennen. Das ist gar nicht so leicht, denn es schließt ein, dass ich meine eigene Auffassung hinterfrage, sie durchrüttle und mir selbst ein Stück Sicherheit nehme. Indem ich bestimmte Teile der anderen Wertordnung auswähle und versuche, sie meiner eigenen Lebensweise anzupassen, verändere ich mich. Dabei geht es nicht darum, dass ich meine Auffassung durch ein neue ersetze – ich muss nicht werden wie der Andere! Wichtig ist, dass ich mich offen auf Neues einlassen und mein Weltbild erweitern kann. Nur wer bereit ist, seinen Standpunkt zu verändern, ist dialog- und konfliktfähig und kann damit umgehen, dass verschiede Selbstverständlichkeiten aufeinander prallen. Er kann Veränderungen zulassen und Fremdes als gleichberechtigt anerkennen.

Natürlich sollen wir uns auch in Zukunft über ein „Bleib so, wie Du bist“ freuen! Aber vielleicht haben wir im Hinterkopf, dass ein bisschen Veränderung schon auch ganz gut ist.

Macht Euch doch in einer Gruppenstunde mal Gedanken über Fremdes und wie Ihr es wahrnehmt! Anregungen dazu gibt es im EIS unter der Rubrik „Interkulturelle Öffnung!“