Kritische Reflexion zum "Asylbewerber-Spiel"

Das in der letzten Ausgabe veröffentlichte "Asylbewerber-Spiel" von Th. Lindörfer hat verschiedentlich zu Diskussionen im Verband geführt. Von der Landesberatungsstelle für Aussiedler des Bayerischen Roten Kreuzes möchten wir folgende Stellungnahme veröffentlichen:

Irene Marsfelden
3/1995

"... Ziel dieses Spieles soll offensichtlich sein, die Situation der Asylbewerber besser verstehen zu können. Unseres Erachtens erfüllt das Spiel diesen Zweck nicht.

Die Gründe hierfür sind:
1. Es macht keinen Sinn, daß der Sieger des Spieles diejenige Gruppe ist, die am Ende das meiste Geld hat. Dies hebt stark auf wirtschaftliche Gründe ab, derentwegen die Flüchtlinge angeblich kommen. Es bestärkt geradezu die Vorurteile, die den Flüchtlingen entgegengebracht werden. Es wird nicht auf die Situation eingegangen, die Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland erleben und derentwegen sie flüchten (Bürgerkrieg, politische Verfolgung, Gefahr für Leib und Leben, Umweltkatastrophen usw.). Auch die Begriffswahl „gelobtes Land“ weist daraufhin, daß offensichtlich wirtschaftliche Gründe für die Flucht ausschlaggebend sein sollen.
2. Im Spiel wird der Begriff „Sippe“ benutzt. Unserer Meinung nach ist der Begriff unglücklich gewählt, da mit ihm üblicherweise eine Großfamilie bezeichnet wird. Offensichtlich ist im Spiel jedoch eine Gruppe von nicht miteinander verwandten Flüchtlingen gemeint. Im Spiel soll der Gruppenzusammenhalt gestärkt werden. Dieses pädagogische Ziel ist gut gemeint, geht jedoch an der Realität vorbei. Viele Flüchtlinge sind gezwungen, als „Ein
zelkämpfer“ die Flucht zu wagen, damit sie überleben können.

3. In einem Teildes Spieles müssen die Flüchtlinge ihr gesamtes Hab und Gut über die Grenze bringen (2 Wassereimer). Dies entspricht nicht der Wirklichkeit, da Flüchtlinge in der Regel eben nichts mitbringen können, sondern im Gegenteil ihre gesamte Habe zurücklassen müssen.

4. Für die Situation der Aussiedler ist das Spiel sowieso unzutreffend, da Aussiedler nicht flüchten müssen. Aussiedler sind deutsche Volks- und Staatsangehörige und stellen vom Herkunftsland aus einen Antrag auf Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland. Dieser wird von deutschen Behörden geprüft. Stellt sich heraus, daß der Antragsteller deutscher Volks- bzw. Staatsangehöriger ist, erhält er einen Aufnahmebescheid und kann legal in die Bundesrepublik einreisen.

Es ist für uns fraglich, ob mit diesem Spiel den Kindern wirklich die Probleme der Asylsuchenden nahegebracht werden können. Im Spiel wird hauptsächlich auf die Fluchtsituation eingegangen, die sicher auch in der Realität für die Flüchtlinge sehr dramatisch ist. Sie stellt jedoch nur einen geringen Ausschnitt aus dem Leben eines Flüchtlings dar. Viel wichtiger wäre es, den Kindern gezielt die Fluchtursachen nahezubringen sowie dann auch stark auf die Lebenssituation und die damit verbundenen Schwierigkeiten in der Bundesrepublik einzugehen (Asylverfahren, unsicherer Aufenthaltsstatus, Angst vor Abschiebung, Fremdenfeindlichkeit, beengte Wohnverhältnisse, Perspektivlosigkeit usw.). Sinnvoll wäre es in diesem Zusammenhang, Projekte gemeinsam mit Flüchtlingskindem durchzuführen."