Jugendarbeit heute

Seit die Jugendarbeit nach dem 2. Weltkrieg wieder angekurbelt wurde, scheinen neue Denkmodelle und Möglichkeiten zur Verwirklichung dieser Arbeit immer irgendwo im Sand der Verwaltungsinstitutionen steckengeblieben zu sein.

Traudl Maier
1/1973

Dabei sollte doch gerade die Jugend die treibende Kraft für sozialen Fortschritt, für neue Erkenntnisse etwa in der Entwicklungs- oder Gruppenpsychologie sein. Noch niemand hat sich zugetraut, diese Dinge in Satzungen und Leitfäden zu legalisieren. Wer aber heute noch glaubt, unsere Jugendarbeit beschränke sich auf Nachwuchsbeschaffung für die Erwachsenengemeinschaften des Roten Kreuzes, das Programm und die Mitglieder im Jugendrotkreuz seien auf die Gunst der Spender zuzuschneiden, der sieht meiner Meinung nach unsere Welt durch ein Schlüsselloch, auch wenn diese Dinge natürlich sehr wich tig und verantwortungsvoll sind. Die aktuellen Probleme der jugendlichen Generation sind - ohne sie überbewerten zu wollen, - keineswegs kleiner bzw. geringer geworden und drängen auf eine Erweiterimg unserer bisherigen Gruppenarbeit. Auf das einzelne Gruppenmitglied wirken so viele Einflüsse, das Elternhaus, die Schule und Ausbildung, die ganze verwirrende Umwelt, daß viele die herkömmliche Jugendarbeit allein mit ihrem Bildungs und Aktionsprogramm nur als zusätzliche Belastung empfinden und dann ganz einfach die Lust verlieren. Gleichzeitig wird sich jeder verant wortungsbewußte Gruppenleiter schon einmal überlegt haben, daß die Jugendarbeit heute eigentlich existenziellere Aufgaben denn je hat: wie unsere psychische und physische Umwelt von Morgen aussieht, das hängt nicht zuletzt von der Erziehung unserer Gene ration ab, und die Gruppe ist nun einmal ein Faktor dieser Erziehung.
Und auch ein noch so erstklassiger Pflasterverband hilft nicht gegen die sozialen Ungerechtigkeiter der Zukunf t. Es ist an der Zeit, vor allem auch die Jugend des Roten Kreuzes sozial und gesellschaftspolitisch und damit sachbezogen zu engagieren, nicht mehr nur Symptome zu bekämpfen, wie es in einem Schlagwort so schön heißt. Dazu müssen wir aber vorher versuchen, in unseren Gruppen die Persönlichkeit und das Selbstbewußtsein des Einzelnen zu fördern, damit er mit seinen Konflikten besser fertig wird. Er braucht den Rückhalt und das Getragen sein in einer Gruppe, sie kann ihm dabei helfen, kritischer und urteilsfähiger seine Umwelt zu betrachten, sich verantwortlich zu fühlen und aus diesem Bewußtsein heraus mitzuhelfen, den Frieden und ein sinnvolles Leben auch für die Zukunft zu erhalten. Es fragt sich nun, ob und wie solche Zielvorstellungen verwirklicht werden können. Wenn man warten wollte, bis die Basis des JRK, also unsere Gruppen draußen, von selbst mit einer Mehrheit einen neuen Wind in der Jugendarbeit verlangen, so glaube ich, ist diese Erwartung utopisch und bequem. Es wird nötig sein, unsere Gruppenleiter tiefgehender auszubilden, neben der Information auf den ganzen Menschen einzugehen. Die Praxis der Gruppenarbeit muß zunächst einen Ausgleich zur Schule und Arbeitswelt bieten, d.h. der junge Mensch soll seine Gefühle und Gedanken einbringen können, soweit als möglich selbst mitbestimmen. Die moderne Psychologie, speziell die Gruppendynamik, bietet Möglichkeiten zur Selbsterfahrung und zum Gruppen erlebnis; wir lernen die Vorgänge in uns und in der Gruppe bewußter erleben und steuern. Nur so kann die zwischenmenschliche Beziehung geschaffen werden, auf der die Information und Bildung, die sozialen Grundgedanken des Jugendrotkreuzes den Einzelnen nicht mehr überfordern und wachsen können. Und dann wird sich die Aktivität der Jugendlichen nicht nur auf Veranstaltungen und Aktionen im Roten Kreuz beschränken, sondern zu einer ganz persönlichen Verantwortung werden, die sich über das ganze Leben erstreckt. Ich glaube, wir müssen es versuchen, wenn auch jeder nur ein Bruchstückchen dazu beitragen kann.