Ein neues Aufgabengebiet

Jeder von uns hat in der letzten Zeit von den "Boat-People" gehört, den Flüchtlingen, die Vietnam auf kleinen, selbst gezimmerten Booten verlassen haben.

Gerhard Grimm
2/1980

Viele erhielten in der BRD eine neue Heimat. Von den Massenmedien wurden wir auf diese Menschen aufmerksam gemacht, erfuhren, daß sie zur Zeit die deutsche Sprache erlernen und dann an Arbeitsstellen vermittelt werden sollen. Kaum jemand beschäftigt sich weiter mit diesen Menschen, wenn auch viele Vereinigungen ihren guten Willen gezeigt haben und mithalfen, die erste Not zu überbrücken. Mit wenigen Ausnahmen beschränken sich diese Maßnahmen auf materielle oder finanzielle Hilfeleistungen oder auf Einzelaktionen, wie Kaffeenachmittage. Auch mich hat der Zufall mit diesen Menschen, die in einem Heim in Möhren bei Treuchtlingen leben, zusammengebracht. Zuerst kam ich mit den Kindern in Berührung, die in der Grundschule in einer eigenen Klasse zusammengefaßt sind. Ich war beeindruckt, wie eifrig sie die deutsche Sprache zu lernen versuchten und wie freundlich und nett sie immer waren. Es zeigte sich, daß sie gerne mit deutschen Kindern zusammenkommen wollten, dazu aber fast nur in der Schule eine Möglichkeit hatten. Bald war der Gedanke geboren, hier mit unseren JRK-Gruppen zu helfen. Kurze Zeit später wurde ich im Zusammenhang mit einem Suchdienstantrag nach Möhren gesandt und hatte Gelegenheit, mit der Lagerleitung und einigen Vietnamesen zu sprechen. Es zeigte sich, daß dringend Winterkleidung, vor allem für die Kinder, gebraucht wurden. Vor allem fehlte das, was Kinder am ehesten vermissen - Spielzeug. Da einige Vietnamesen auch den Führerschein machen wollen, erschien es notwendig in Möhren einmal einen EH-Kurs durchzuführen. Die Bitte hier zu helfen verhallte nicht ungehört. Noch am selben Abend ging ein Rundschreiben an alle JRK-Gruppen im KV, mit der Bitte Kleider und Spielzeug in den eigenen Reihen zu sammeln. Auch die Führungen der anderen Gemeinschaften erließen ähnliche Aufrufe.
Bald liefen die Spenden in einem ständigen Strom ein. Kurz vor Weihnachten hatten wir ca. 1 Tonne Kleidung und große Mengen Spielzeug gesammelt. Nun konnte die nächste Phase der Aktion beginnen. Das Spielzeug wurde gereinigt, sortiert und in Ordnung gebracht. Für jedes der Vietnamesenkinder wurde ein Weihnachtspaket zusammengestellt, die Jugendlichen erhielten Puzzles und Bücher. Was übrig blieb, das sollte in die Spielstube des Heimes in Möhren wandern.
Einen ganzen Nachmittag schleppten wir Kleider, sortierten, verglichen Größen. Die Vietnamesen sind schmächtige, kleine Menschen und nicht alle gesammelte Kleidung paßte größenmäßig. Was geeignet war, wurde verpackt, beschriftet und zum Abtransport bereitgestellt. Was nicht paßte, das wurde in die Kleiderkammer gebracht und für andere Gelegenheiten säuberlich gelagert .
Am Abend stand ein halber VW-Bus voller Kleidung in Kartons und Plastiksäcken zum Abtransport bereit. An einem Freitagabend holten wir mit zwei VW-Bussen und einem Sanka alle Vietnamesen zwischen 6 und 18 Jahren nach Weissenburg. Die Gruppen des Ortsbereiches hatten eine Weihnachtsfeier vorbereitet, mit Weihnachtsliedern, Tee und Broten. Petrus machte uns allerdings einen Strich durch die Rechnung, denn wir hatten eine Waldweihnacht durchführen wollen. Es gibt zwar wenige Christen unter den Vietnamesen, aber sie nehmen das Weihnachtsfest als eine deutsche Gegebenheit hin, und in diesem Sinne wollten wir auch unsere Feier verstanden wissen.
Die Jugendlichen, die schon recht gut deutsch sprechen, erzählten uns von ihrer Flucht aus Vietnam und unsere Gruppenmitglieder waren beeindruckt, was diese armen Menschen durchgemacht hatten. Zum Schluß sangen die vietnamesischen Kinder noch deutsche Weihnachtslieder, die in der Schule einstudiert waren.
Und sie erhielten das Spielzeug, das wir gesammelt hatten. Nachdem das Eis gebrochen war, spielten die Kinder miteinander und erste zaghafte Gespräche begannen. Es hat allen gut gefallen und der Kontakt wird bei erneuten Treffen fortgesetzt werden.
Mittlerweile habe ich auch, unterstützt von zwei Gruppenleitern, mit dem EH-Kurs begonnen, der großen Anklang findet. Mit Begeisterung arbeiten die Vietnamesen mit, die in kompletten Familien erschienen sind. Sie lernen sehr schnell und gut, auch verstehen sie die deutsche Sprache ziemlich gut. Oftmals bahnen sich sogar Diskussionen an. Nach einem Jahr Unterricht der deutschen Sprache eine bemerkenswerte Leistung. Für uns am schönsten ist die gelöste Atmosphäre, in der der Lehrgang stattfindet. Umgeben von den Kindern, die alle Scheu verloren haben und überaus herzlich angenommen von den Erwachsenen, fühlen wir uns wie in einer großen Familie. Die Vietnamesen sind sehr dankbar dafür, daß wir nicht Almosen geben, sondern etwas mit ihnen durchführen, was einerseits für sie von Nutzen ist und andererseits uns menschlich näherbringt. Wir hoffen, noch viele Aktionen mit den Heiminsassen durchführen zu können und ihnen etwas das Einleben in Deutschland zu erleichtern. Wir haben ein neues Arbeitsfeld gefunden.

Sie erzählten ihre Fluchtgeschichte