Gemeinsam leben lernen

Das „Frankfurter Behindertenurteil" schlug hohe Wellen.

Georg Soller
1/1982

Als herausragendes Beispiel wollen wir hier von einer Aufklärungsaktion berichten, die Schülerinnen des Münchner SophieScholl-Gymnasiums im Juli vergangenen Jahres ins Leben gerufen haben. In aufwendiger Kleinarbeit stellten sie eine Ausstellung zum Thema „Gemeinsam leben lernen" zusammen. Sie wollten damit über den Alltag Behinderter informieren und Sachverhalt sowie Hintergründe zu dem umstrittenen Urteil aufzeigen.
Aus Filmen und Dias, Fotos und Zeichnungen sah der Betrachter, daß Behinderte nicht nur im Rollstuhl „herumgeschoben werden". Er erfuhr von 100-Meter-Lauf mit Krücken, vom Rock'n Roll im Rollstuhl, von gemeinsamen Urlaubsfahrten behinderter und nichtbehinderter Kinder. Die Frage tauchte auf, warum nicht ein einziges behindertes Kind an der Schule ist. Damit sollte auf Probleme des Alltags hingewiesen werden, die trotz, oder vielleicht auch wegen ihrer Banalität für viele Behinderte unüberwindlich werden: Treppen, Bordsteine, Toiletten, Telephon. Die Liste ist lang.

Fragen in der Gesellschaft

Mit ihrer Aktion wollten die 16 bis 18jährigen Schülerinnen dazu beitragen, Vorurteile, Unsicherheiten, Unkenntnisse abzubauen; sie wollten helfen, die „Hilflosigkeit gegenüber den angeblich Hilflosen" zu überwinden. Dazu stellten sie Fragen; Fragen, deren Antworten jeder in sich selbst suchen mußte:

• Wollen wir nicht lieber vergessen, daß es unter uns auch Menschen gibt, die körperbehindert sind? • Stören sie das „Klima" zum Beispiel in einer Schule, oder sind wir einfach zu bequem um zu lernen, mit Behinderten umzugehen? • Ist unsere Gesellschaft bereits so unmenschlich geworden, daß sie
den Menschen nur mehr mit dem Maßstab der Leistung mißt?

Neben einem starken positiven Echo fanden sich auch kritische Stimmen zu der Aktion: „Die Schule hat nicht den Auftrag, zu Protestieren zu erziehen". Soll wirklich gerade aus der Schule der Bereich des soz den Auftrag, zum den Auftrag, zum Protestieren zu erziehen". Soll wirklich gerade aus der Schule der Bereich des sozialen Engagements, der sozialen Erfahrungen ausgeklammert werden?