Schottische Behinderte zu Gast in Pleystein

Ich sitze an einem See in einem kleinen Waldstück. Der Wald hat etwas Unheimliches, aber gleichzeitig Anziehendes für mich. Die Lichter der Wipfel, der Duft des Holzes, und das Rauschen des Windes in den Ästen. Aber auch holprige Wege, aus dem Boden ragende Wurzeln gehören zu ihm; alles Dinge, die ich mit meinem Fahrrad leicht umfahren konnte. Aber mit Rollstühlen würde man hier nicht durchkommen.

Elisabeth Pesch
1/1981

Das erinnert mich an Pleystein, an die Behinderten aus Schottland und an die Betreuer; an Musik, Fröhlichkeit, Geborgenheit. Ja, Geborgenheit; ich kam mir vor wie in einer großen Familie. Wir haben uns super verstanden - mit und ohne unseren Englisch-„kenntnissen". Es war wahnsinnig gut. Schade, daß es nur sechs Tage waren.

Behinderte betreuen

Ich bin ganz komisch zu dieser Sache gekommen. Am Anfang konnte ich mir gar nichts Rechtes darunter vorstellen; ich wußte eigentlich nur, daß unsere Gruppe Behinderte betreuen sollte, und daß diese Behinderten aus Schottland kamen. Die Ankunft dann war ein kleiner Schock. Es war alles so ungewohnt, und manche sahen wirklich seltsam aus. Beim Abendessen - ich kannte bis dahin schon zwei oder drei Leute - mußte ich feststellen, daß einige gar nicht richtig essen konnten. Als ich das zum ersten Mal sah, war es mir doch sehr unangenehm. Aber ich nahm mich zusammen, und beim zweiten Essen machte mir das schon fast nichts mehr aus. Aber vielleicht lag das auch daran, daß ich diese Leute immer lieber gewann.

ehrliche Zuneigung

Es war kein Mitleid - das war bestimmt auch das Letzte, das sie wollten - nein, es war einfache und ehrliche Zuneigung. Auch sie waren ehrlich, meinten, was sie sagten. Trotzdem war es wohl übertrieben, wenn David, ein Betreuer, sagte, ich sei der Liebling aller Behinderten; ich war dennoch stolz darauf. Und was mich am meisten freute, war, daß sie Vertrauen zu mir zeigten. An einem Abend - es war schon ziemlich spät - saß ich so da und spielte mit meinen Beinen, genau, ich ließ sie einfach baumeln. Auf einmal sagte Norman: „Ich möchte auch mit meinen Beinen so spielen können. Ich bin ganz normal, aber unten halt ganz ohne Gefühl..." Es klang Bitterkeit durch seine Worte. Ich vermute, er wollte sagen, daß ihn viele Leute auch für geistig krank halten, nur weil er im Rollstuhl sitzt.

alles zeigen

Das tat mir weh. Er war so ein lustiger Mensch, konnte Witze erzählen, daß wir uns vor Lachen bogen. Er zeigte mir, welche Gefühle er und seine behinderten Gefährten hatten, zeigt mir auch, wie sehr sie sich auch nach Geborgenheit sehnten. Ich habe mich in diesen Tagen bemüht, diesem Wunsch gerecht zu werden. Immer wenn wir unterwegs waren, und ich einen von ihnen im Rollstuhl schob, versuchte ich alles zu zeigen, zu beschreiben, erklären und sie auch zum Lachen zu bringen.
Abends saßen wir in der Bar oder in unserem Appartment. Ein paar Behinderte, ein paar Betreuer und ein paar Jugendrotkreuzler. Es war herrlich, so zusammenzusitzen, zu reden, Gitarre zu spielen, zu singen. Ich erinnere mich, wie Jay immer ein bestimmtes Lied sang, und ein Betreuer dazu Gitarre spielte. Dieses Lied bewegte mich immer aufs neue. Es ging darin um die Liebe zu einem Mädchen. Annie's Song.

You fill up my senses, like a night in a forrest, like a mountain in springtime, like a walk in the rain, like a storm in the desert, like a sleepy blue ocean, yo fill up my senses, come fill me again. Come let me love you, let me give my life to you, let me draw in your laughter, let me die in your arms, let me lay down beside you, let me always be with you, come let me love you come love me again. (John Denver)

Er sang das so gefühlvoll, so gut. Ich kann dieses Lied nicht vergessen. Ich kann die ganze Zeit nicht vergessen. Es verging alles so schnell. Zum Abschied meinten einige, ich solle doch mal nach Schottland kommen, zu ihnen. Ich hoffe, das klappt, denn ich hab sie so lieb gewonnen. Ich hab von ihnen gelernt.
Wieviele Menschen klagen wegen jeder Kleinigkeit, ohne wirklichen Grund? Ich habe das auch getan. Ich habe aber jetzt über vieles nachgedacht, seit ich in Pleystein war. Es war gut so, denn seitdem sehe ich die Welt nicht mehr so verbohrt.

Kurze Pause
Einem Straßenmaler über die Schulter geguckt
Besuch des Nürnberger Tierparks
Ausflug in die Nürnberger Fußgängerzone