Sicherheit für Fahranfänger

Quietschende Reifen eines Audi-Quattro. Wie ein von der Tarantel gestochenes Wildschwein schießt ein silberner Pfeil durch eine von etwa 500 Menschen gebildete Gasse.

Christian Haas
KV Neu-Ulm
1/1985

Die Beifahrerin scheint etwas blässlich zu sein. Starke Beschleunigung bis an das Ende der Gasse. Dort wieder ein Quietschen vom Bremsen, eine Drehung um 180 Grad, leicht schleudernd, erneutes Beschleunigen. Christian Danner, Rennfahrer, zeigt jungen Fahranfängern, wie die Fliehkräfte seines Audi-Quattro selbst bei geringen Geschwindigkeiten am Wagen zerren. "Und dabei haben wir nur knappe 40 Stundenkilometer drauf gehabt", meint Danner beim anschließenden Interview. "Des hätt' i net gedacht", zittert eine wispernde Stimme in das Mikrophon, das Christian Danner seiner Beifahrerin entgegenstreckt.
Am 15. September 1984 fand in Neu-Ulm die Auftaktveranstaltung zur Aktion "Sicherheit für junge Fahranfänger" statt, eine Aktion des Jugendrotkreuzes in Zusammenarbeit mit der Deutschen Verkehrswacht. Die Auftaktveranstaltung stellte den Startschuß für etwa 35 ähnliche Veranstaltungen des bayerischen Jugendrotkreuzes dar - von Schwaben bis nach Unterfranken.

Keine Fahranfänger

Die Frage taucht auf, warum gerade das bayerische Jugendrotkreuz die Aktion "Sicherheit für junge Fahranfänger" durchführt? Ist damit doch eine Menge Arbeit verbunden. Der Grundgedanke liegt in der Vorsorge. Daß Vorsorge meist besser ist als Hilfe hinterher, dürfte jedem gesunden Menschen verständlich sein. So wollte man dem jungen Fahranfänger, der erst vor kurzem seinen Führerschein erworben hat und noch sehr wenig Möglichkeiten hatte, mit seinem Auto Erfahrungen zu sammeln, die Gelgenheit bieten, in einem ungefährlichen Rahmen Übungen zu durchfahren, die man im normalen Straßenverkehr nur ungern erlebt. Leider konnte man nicht voraussehen, daß sich nur eine sehr begrenzte Anzahl von Jugendlichen zu den jungen Fahranfängern rechnet, wie die Teiinehmerzahlen bei den verschiedenen Aktionen in den Kreisverbänden leider oft zeigen mußten. Es mag daran liegen, daß jeder, der einmal etwas schärfer als gewöhnlich gebremst hat - besitzt er auch nur seit etwa einem Monat den Führerschein - sich nicht mehr unter die Fahranfänger zählt. Nun aber zur Auftaktveranstaltung in Neu-Ulm. Jeder Führerschein-Neuling sollte mit dem eigenen Auto erleben, daß es mit dem Führerschein und dem Zündschlüssel-umdrehen nicht getan ist. Bereits lange vor der Aktion starteten Rundfunk (Bayern 3) und die örtliche Presse in Neu-Ulm Durchsagen und Bekanntmachungen, daß sich junge Fahranfänger im Kreisverband Neu-Ulm melden können, die dann kostenlos an dieser Aktion teilnehmen dürfen. Für jeden Teilnehmer winkt ein attraktiver Preis. Zehn junge Leute erklärten sich dazu bereit.

Hoher Besuch aus der Luft

Der 15. September 1984 fing schon gut an. Bereits seit den frühen Morgenstunden regnete es unaufhörlich. Daimler-Benz stellte für die Auftaktveranstaltung zwei Großraum-LKW zur Verfügung. Auf einer der beiden Ladeflächen war der Bayerische Rundfunk untergebracht, der - für das Publikum sichtbar - seine Discothek einrichtete; auf der anderen Ladefläche bereitete sich eine Bläsergruppe auf ihren großen Auftritt vor. Nach und nach füllte sich der Volksfestplatz, auf dem bereits mehrere Zelte des Roten Kreuzes standen, VW, Audi und Mercedes ihre Fahrzeuge präsentierten und wo der Moderator der Deutschen Verkehrswacht, Klaus Stahl aus Stuttgart, seine Übungen vorbereitete. Er stellte an verschiedenen Orten des Platzes und auf der Fahrbahn Pylone auf, legte irgendwo eine Erdbeer-Folie auf die Fahrbahn und öffnete an einigen bereitgestellten Fahrzeugen der Teilnehmer an der Aktion die Kühlerhauben. Schon diese paar Handgriffe des Moderatoren regten großes Interesse bei den Fahrern und beim Publikum. Hoher Besuch war zu der Aktion angesagt. So schwebte kurz vor Beginn Ministerialrat Dr. Bouska vom Staatsministerium des Innern mit einem Hubschrauber auf den Platz ein. Auch wurde ein Armeehubschrauber bereitgestellt, der für die Öffentlichkeit einsichtig gemacht wurde. Im Verlauf des Tages erklärten die Flieger mehreren Zuschauern Technik, Sicherheit und Innenleben ihrer Maschine. Mit dabei waren auch Staatssekretär Bayer vom Bundesverkehrsministerium, Dr. Felix Mottl, Präsident der Deutschen Verkehrswacht, Harald Demuth, deutscher Rallye-Meister, der bereits erwähnte Christian Danner, sein Vater, der berühmte Unfallforscher Professor Max Danner, der Vizepräsident des Bayerischen Roten Kreuzes, Dr. Bruno Merk, der Bayerische Rundfunk mit seinen Moderatoren Hans-Dieter Krais und Petra Schürmann und viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Der Träger der Aktion vor Ort war der Vorsitzende des BRK-Kreisverbandes Neu-Ulm, Sparkassendirektor Wilhelm Hauff. Sehnsüchtig wartete man auf den Beginn der Aktion. Zur Begrüßung sprach Dr. Bruno Merk einige einleitende Worte. Dann übernahm Hans-Dieter Krais die Moderation für das Publikum. Somit war von 10°° bis 12°° Uhr das Geschehen in Neu-Ulm für jedermann auf Kanal 'Bayern 3' mitzuverfolgen.

Unbehagen beim Check

Nun begann es aber, für die zehn Freiwilligen aus dem Landkreis Neu-Ulm mit ihren bereitgestellten Fahrzeugen ernst zu werden. Moderator Klaus Stahl fing mit ihnen an, die Wägen durchzuchecken. Dabei ging es um den richtigen Kühlwasserstand, das Wischwasser, die Scheibenwaschanlage, den richtigen Ölstand, die Kontrolle der Batterie, die Dicke der Bremsbeläge, die Profiltiefe in den Reifen und ähnliches mehr. So manchem Teilnehmer wurde es dabei ungut in seiner eigenen Haut, wenn er erfuhr, daß sein Reifen nahe an der Grenze des zulässigen war. "Auch ein Auto benötigt seine Fürsorge", so Klaus Stahl. Anschließend mußte jeder junge Fahranfänger mit seinem Wagen einen Parcours mit Pylonen durchfahren. Kurven sollten richtig ausgefahren werden, beim rückwärtsfahren durfte kein Pylon umgefahren werden, man mußte in eine vorbereitete Garage einparken ohne anzustoßen - vorwärts sowohl als auch rückwärts - ein schmales Brett mußte zuerst mit den beiden rechten Reifen vorwärts überfahren werden, danach rückwärts mit den beiden linken Reifen. Die bereits ausgelegte Erdbeer-Folie wurde mit Spülwasser bespritzt und dann galt es, mit den beiden linken Reifen mit 60 km/h darauf zu fahren und stark abzubremsen. So wurde eine einseitig glatte oder schmierige Fahrbahn simuliert - starkes Erstaunen bei allen, die diese Übung durchfahren konnten. Viele ähnliche Übungen schlössen sich daran an. Es galt natürlich auch, in einer Erste-Hilfe-Aufgabe das Wissen in der Ersten Hilfe zu prüfen sowohl theoretisch als auch praktisch. Im Rautekgriff mußte ein Verletzter aus dem Auto geborgen werden, in die stabile Seitenlage gebracht werden und dann ging es an die Hilfe. Für jede Übung gab es Punkte, die dem 'Punktebogen' der Teilnehmer gutgeschrieben wurden.

Stellungnahme des JRK

Während der ganzen Aktion wurden immer wieder Interviews durchgeführt. Hans-Dieter Krais, Petra Schürmann und Christian Danner befragten Gäste, Teilnehmer mußten sich zu ihren Gefühlen äußern und der Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwaben, Direktor Ludwig Häring, sowie der Bundesreferent für das Jugendrotkreuz, Dr. jürgen Axer, konnten eine Stellungnahme zur Aktion "Sicherheit für junge Fahranfänger" geben, warum und wieso diese Aktion im bayerischen Jugendrotkreuz Anklang und Unterstützung findet. Um 12°° Uhr war die Live-Übertragung aus Neu-Ulm zu Ende. Für manche ein Grund zum Heimfahren, für andere war es ein Grund, noch etwas dazubleiben und sich Ideen, Anregungen und Tips für die Aktion daheim mitzunehmen. Zum Mittagessen gab es für jeden Leberkäs und Salzkartoffeln sowie ein freies Getränk. Gegen 15°° konnte der Sieger ermittelt werden. Der Vorsitzende des Kreisverbandes, Wilhelm Hauff, nahm die Siegerehrung vor. Jeder Teilnehmer erhielt eine Urkunde und ein Starthilfekabel-Set. Der erste Preis war dann zusätzlich ein Zinnteller der Stadt, der zweite ein Buchpreis. So ging die Aktion nach einem langen und nassen Regentag zu Ende.

Resumee der Aktion

Das Resume der Aktion war auf jeden Fall mehr als zufriedenstellend, wenn auch für die Zuschauer der Sinn und Nutzen einer solchen Aktion nicht einsehbar ist. Sie erleben nur quietschende Reifen eines silbernen Audi Quattro, denken aber nie an wirkliche Gefahrensituationen, in die sie geraten können. Autofahrer, die schwierige Situationen bzw. Grenzwerte mit ihrem Auto bereits einmal erlebt haben, verhalten sich in Gefahrensituationen mit Sicherheit anders, als diejenigen, die noch nie etwas davon gehört haben.