Klar zum Einsatz: wie die Schnelleinsatzgruppen funktionieren

Die Liga ist also einerseits damit konfrontiert, viel mehr Arbeit, andererseits immer weniger menschliche und andere Quellen zur Verfügung zu haben.

N.N.
JRK Günzburg
2/1984

Das hat uns dazu gezwungen, nationale Gesellschaften um ihre Hilfe zu bitten, sofern deren Mittel es erlauben. Und hier kommt die Idee von den Soforthilfegruppen zum Tragen. So wie sie im Moment funktioniert, macht die Idee sehr schnelle Reaktionen möglich. Gleichzeitig gibt sie die Garantie, daß ständig Hilfe von Experten möglich ist und daß die Arbeit gleichmäßiger verteilt ist. Und so soll das System theoretisch funktionieren: die mitwirkenden nationalen Gesellschaften unterhalten jeweils für einen Monat ein vierköpfiges Team. Das geschieht auf Rotationsbasis. Während dieses Monats - und sei es am letzten Tag fünf Minuten vor Mitternacht - kann jederzeit der Anruf kommen: 'Ihr werdet gebraucht!' Jede Gruppe besteht aus einem Leiter, einem Logistiker, einem Arzt und einem Informationsbeauftragten. Sicher gibt es Situationen, in denen diese Grundform verändert werden muß, aber wir haben sie absichtlich so zusammengestellt. Wir glauben nämlich, daß in einem Katastrophenfall Leute mit diesen vier Fähigkeiten die wichtigsten Hilfestellungen geben können, die die nationalen Gesellschaften in diesem Moment brauchen."

Die Aufgaben der SEG

"Die Hilfe. Normalerweise wird es nicht nötig sein, daß sich die Teams selbst um die Hilfsaktion kümmern müssen. Was sie einbringen sollen, ist Erfahrung, sodaß im akuten Fall das Versuchs-Irrtum-Prinzip wegfallen kann und die nationalen Gesellschaften gleich ganze Arbeit leisten können. Es ist auch nicht geplant, die Gruppen über einen langen Zeitraum hinweg einzusetzen. Sie sollen so schnell wie möglich in ein Katastrophengebiet kommen, die Hilfsaktion planen oder leiten helfen, sich dann zurückziehen und für den nächsten Einsatz fertig machen. Wird von der Liga mehr Hilfe benötigt, und hier entscheiden die Gruppen mit, schicken wir mehr Delegierte dorthin." Müssen die Teams zu jeder Katastrophe überall in der Welt kommen? In einer Katastrophensituation zählt die Schnelligkeit. Katastrophen können jeden Tag und zu jeder Stunde passieren. Sie nehmen keine Rücksicht auf das menschliche Schlafbedürfnis oder Ferienerholung.

Und ihre Opfer können nicht warten

Die Reaktionszeit nach einer Katastrophe ist das Problem, das den Menschen bewegt, seit er begonnen hat, Hilfsaktionen zu organisieren. Dies reicht wahrscheinlich bis zum prähistorischen Menschen zurück. Das sagt zumindest Sven Lampell, der bei der Liga der Rotkreuzgesellschaften für die Soforthilfeteams zuständig ist. Er ist groß, grauhaarig und spricht mit leiser Stimme. Er war bereits an 40 Hilfseinsätzen der Liga beteiligt. "Die besondere Notwendigkeit der SEG lag schon seit einiger Zeit in der Luft", erklärt Lampell. "Die Liga hat beschlossen, es auszuprobieren, weil es uns die beste Antwort auf zwei Probleme schien, an denen wir in der Nächsten Zukunft zu schaffen haben werden. Das erste Problem ist die steigende Zahl von Opfern. Ich meine damit nicht, daß sich mehr Vorfälle ereignen, die eine Katastrophe verursachen; ich meine damit, daß, wenn etwas passiert, mehr Menschen betroffen sind. Das zweite Problem ist, daß es immer mehr nationale Gesellschaften gibt, gerade in Teilen der Welt, die sehr oft von Katastrophen getroffen werden. Das heißt automatisch, daß mehr Hilfe beansprucht wird.

Geldmangel beschränkt die Arbeit

Auch die Beschränktheit unseres eigenen Teams macht uns zu schaffen. Keine Organisation kann groß genug sein, um mit der gesamten Nachfrage nach Katastrophenhilfe fertig zu werden. Aus wirtschaftlichen Gründen mußten wir unsere Mannschaft sogar verkleinern, und wenn sich die finanzielle Lage weiter verschlechtert, werden wir ganz einfach vor dem Problem stehen, zu wenig Geld zu haben. "Die Erfahrung zeigt uns, daß das wahrscheinlich nicht nötig ist", sagt Lampell, dessen Erfahrung sich über zwei Jahrzehnte erstreckt. "Zum einen halten sich viele Katastrophen in kleinen Grenzen, sodaß die lokalen Behörden einschließlich der nationalen Gesellschaft ohne Hilfe von außen fertig werden. Zum anderen gibt es bereits einige Gesellschaften, die selbst genug geschultes Personal sowie die nötigen Quellen haben, um im Falle einer Katastrophe selbst handeln zu können. Natürlich kann es vorkommen, daß die Bedürfnisse derart steigen und die Hilfe im eigenen Land immer knapper wird. Dann bittet die nationale Gesellschaft die Liga um ihre Hilfe. Aber in einer solchen Situation müssen wir meistens kein Soforteinsatzteam aussenden. Die Teams werden nur dann eingesetzt, wenn die Hilfe der Liga ganz dringend benötigt wird." "Der Plan sieht so aus, daß das jeweilige Team höchstens drei Hilferufe bearbeiten muß; wird ein vierter Einsatz nötig, dann schickt die Liga ein Team direkt von Genf aus. Obwohl man natürlich nicht ausschließen kann, daß ein solcher Fall tatsächlich einmal vorkommt, hat uns die Vergangenheit gezeigt, daß man das nicht so dramatisch nehmen muß." Obwohl die Einsatzgruppen noch im Versuchsstadium sind, haben sie schon gezeigt, daß sie einem ihrer Hauptansprüche gerecht werden: der Schnelligkeit. Am 30. Oktober 1983 vernichtete ein schweres Erdbeben über 40 Dörfer im nordöstlichen Teil der Türkei. Der türkische Rote Halbmond, der zwar ein gutes Transport- und Hilfsgütersystem hat, erhielt trotzdem in den ersten Tagen seiner Hilfsaktion technische Hilfe von einem Team. Der Hilferuf der Gesellschaft erreichte die Liga am frühen Morgen. Schon 18 Stunden nach dem Erdbeben landete das erste Team, das überhaupt je ausgesandt worden war, in Ankara mit einem in Oslo gecharterten Jet. Es war bereit, dem Roten Halbmond zu helfen und wichtige Informationen nach außen zu tragen. "Wir werden ständig dabei sein, unsere Arbeit zu verbessern", sagt Lampell, "aber wenn man überlegt, wie schnell der Einsatz gelaufen ist, dann war das schon ein Rekord und ein guter Start in die Zukunft."

Die erste SEG beim DRK

Das Deutsche Rote Kreuz war die erste Nationale Gesellschaft, die ein Team zur Verfügung stellte. Zuvor hatte es zusammen mit der Liga eine Übung veranstaltet, um gerüstet zu sein. Im November war das Norwegische Rote Kreuz an der Reihe, danach im monatlichen Wechsel die Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien und Holland. Es ist auch geplant, das Australische und das Kolumbianische Rote Kreuz mit einzubeziehen, die dann eingreifen könnten, wenn in ihren Ländern ein Unglück passiert.