8 Bayern in Belgien

Neun Tage, die zu einem Erlebnis wurden - Von Oostduinkerke bis nach Eupen

Hans-Michael Weisky
4/1987

Sechs Uhr 38 ging unser Zug von Mühldorf ab in Richtung Belgien. Nein, wir sind nicht aus dem Kreisverband Mühidorf, wir kommen aus Traunstein. Wir, das sind die zwei Monis, Andrea, Sabine, Chris, Tommes, Falko und ich, Michael. Warum wir nach Belgien fuhren? Das kam so: Es war, wenn ich mich nicht täusche, 1981 beim Internationalen Erste-Hilfe-Turnier in Schwetzingen. Hier knüpfte die teilnehmende Gruppe aus Traunstein erste Kontakte mit dem Belgischen Jugendrotkreuz. Im letzten Jahr war es schließlich soweit, wir konnten acht Jugendliche aus Eupen in Traunstein herzlich begrüßen. Bereits bei diesem Besuch wurde für August 1987 ein Gegenbesuch in Belgien vereinbart. Mühldorf, Bahnsteig 6, Abfahrt sechs Uhr 38 in Richtung München. Dort, wie so oft, nur wenig Zeit zum Umsteigen, und ab ging es nach Köln. Hier nutzten wir einen längeren Aufenthalt dazu, uns in der Umgebung des Bahnhofs umzusehen. Wußtet ihr, daß der Kölner Dom direkt neben, ja fast "im" Hauptbahnhof steht? Wir nicht, aber es war schon ein beeindruckendes Erlebnis, dieses Bauwerk zu sehen. Nachdem wir die Belgische Grenze nach Aachen überschritten hatten, stiegen unsere Gastgeber zu. Tanja, Sandra, Monique, Gerd, Carlos und Marc hießen uns herzlich willkommen und bereiteten  uns auf die kommenden Tage vor. Nach schließlich insgesamt über 12 Stunden Fahrt kamen wir in Oostduinkerke, unserem ersten Domizil, total erschöpft an.

Koksijde - Ein Tag bei der Wasserwacht

Am nächsten Morgen wurden wir in Koksijde nach einem herrlichen Spaziergang durch die Dünen am Strand von der dortigen "Wasserwacht" erwartet. Als wir "Wasserwacht" hörten, dachten wir natürlich gleich an unsere Wasserwachtler in Bayern. Weit gefehlt! Eine Wasserwacht, so wie wir sie kennen, gibt es im Belgischen Roten Kreuz nicht. Es handelt sich hier vielmehr um eine Sanitätsstation am Strand, die bei Verletzungen Erste Hilfe leistet oder
vermißten Kindern hilft, ihre Eltern wieder zu finden. Eine große Plage können hier die Quallen in Strandnähe sein. Aber die Sanitäter des Belgischen Roten Kreuzes sind hier für ihre Aufgabe bestens ausgebildet. Es war sehr aufschlußreich, fast einen Tag lang in dieser Sanitätsstation mit Hand anlegen zu dürfen und so einen besseren Einblick in die Arbeit der belgischen Schwesterorganisation zu erhalten.

Brügge - das Venedig des Nordens

Frühmorgens hieß es Koffer packen, frühstücken und ab in den Bus. Wir ahnten nicht, was für eine herrliche Stadt uns erwartete. Zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert entstand Brügge aus einer kleinen Siedlung von Fischern und Kaufleuten. Bereits im 13. Jahrhundert wurde diese Stadt zu einem der wichtigsten Handelszentren der westlichen Welt. Durch die Verlagerung des Hafens kam schließlich der wirtschaftliche Untergang der Stadt im Mittelalter. Anfang unseres Jahrhunderts entstand mit dem Bau des Küstenhafens Seebrügge eine direkte Verbindung zum Meer, und die Stadt erhielt eine neue Lebenschance. Vom Marktplatz aus wurden wir durch die Stadt geführt. Zu Fuß und mit dem Schiff bot sich die ausgezeichnete Gelegenheit, die malerischen Plätze der Stadt zu besuchen. Der Beginenhof, heute Sitz der Benediktinerinnen, der poetische "See der Liebe", der Trödlermarkt oder die Liebfrauenkirche, nach
jeder Ecke überraschte eine neue Sehenswürdigkeit. Gegen Abend trafen wir in Blanchimont ein. Richtig, den Rennsportbegeisterten wird das Herz höher schlagen. Wir blieben für die restlichen Tage unseres Aufenthalts in Belgien in einer Sanitätsstation des Belgischen Roten Kreuzes auf der Rennbahn von Bianchimont.

Der Wachtturm von Brügge: Die Turmbesteigung ist durch nicht weniger als 362 Stufen erschwert

Brüssel - Generaldirektion des Belgischen Roten Kreuzes

Als wir uns am drauf folgenden Tag auf den Weg nach Brüssel machten, wurde uns erklärt, daß im deutschsprachigen Gebiet Belgiens das Belgische Rote Kreuz mit "BRK" abgekürzt wird. Das Bayerische Rote Kreuz wurde scherzhaft als "Außenstelle des BRK mit Sitz in München" bezeichnet. Natürlich haben wir den Spieß sofort umgedreht, aber Außenstelle bleibt... Der stellvertretende Generalsekretär des Belgischen Roten Kreuzes hieß uns in unserer Heimatsprache herzlich willkommen. Im Anschluß wurden uns Dias und Filme über das internationale und das belgische Jugendrotkreuz vorgeführt. Leider wurden die Vorträge und auch die anschließende Diskussion in französischer Sprache geführt, und Marc mußte viel dolmetschen. Wir waren ganz überrascht, als wir erfuhren, daß das Belgische Rote Kreuz in zwei vollkommen eigenständige Generaldirektionen aufgeteilt ist. Das deutschsprachige Gebiet ist der Wallonie zugeordnet. Auch das Jugendrotkreuz ist "zweigeteilt". Das Jugendrotkreuz in Belgien ist nicht, wie wir irrtümlich annahmen, ein Jugendverband, sondern ein Jugenddienst. Jugenddienst? Der Unterschied ist mehr rechtlicher
Natur, als man praktisch ersehen kann. Mitglieder in unserem Sinn gibt es beim belgischen Jugendrotkreuz nicht. Die Animatoren, vergleichbar mit unseren Gruppenieitern, veranstalten Gruppenabende, Workshops, und ähnliches. Alle,die Lust haben, können kommen, werden aber nicht karteimäßig erfaßt. Nur die Animatoren und die Mitglieder der weiteren Führungsgremien sind in einer Kartei zu finden. Eine Mitgliedschaft im Jugendrat (vergleichbar unserem Jugendring) konnte bis heute noch nicht erreicht werden. Das Jugendrotkreuz Eupen, unser Gastgeber, ist der Provinzialleitung in Lüttich unterstellt. Die Provinz entspricht etwa unseren Bezirken. Es wurde zwar nie offen gesagt, aber überall war sie zu spüren, die Teilung in ein wallonisches und flämisches Jugendrotkreuz. Auch die deutschsprachigen JRKier schienen nicht allzu glücklich mit der wallonischen JRK-Leitung und sympathisierten sehr stark mit den flämischen Kollegen. Das fast 1400 Jahre alte Brüssel galt es am Nachmittag zu entdecken. Vom großen Markt aus, hier steht unter anderem das Rathaus, das Haus der Herzöge von Brabant und der Goldene Baum, erkundeten wir die Schönheiten der Stadt. Manneken-Pis, die Börse, das Königsschloß mit den herrlichen Treibhäusern, der Justizpalast, die "Rue des Bouchers" und das Planetarium durften im Besichtigungsprogramm genausowenig
fehlen wie die St.-Michaels-Cathedral. Zu einem Gruppenabend wurden wir vom Jugendrotkreuz der Studentenstadt Leuven am Abend erwartet. Auch Leuven zeigte sich uns als eine Stadt voller Reichtümer. Reich an prunkvollen Gebäuden, allen voran dem Rathaus, und reich an humorvollen und lebenslustigen Menschen. Der Abend mit den Leuvener Jugendrotkreuzlern wird uns allen in besonders guter Erinnerung bleiben.

Ein Tag zum Faulenzen

Endlich einmal nicht früh aufstehen, keine Warteschiange an der Dusche, einmal richtig ausschlafen. Das Wetter war uns an diesem Tag sch...egal. Wir taten schlichtweg nichts. Das war auch nicht ganz richtig. Aber an diesem Tag hatten wir einmal Zeit für uns und die nützten wir für Informationen: "Was macht ihr - wir machen das", usw. Am Abend kamen noch einige Rotkreuz-Offizielle, und bei einer Grillfeier gab es schließlich allerlei zu bereden.

Eupen - die Heimatstadt unserer gastgebenden JRK-Gruppe

Ostbelgien kam nach wechselvoller Geschichte 1920 an Belgien. Auf 854 Quadratkilometer großem Gebiet leben heute etwa 66 000 deutschsprachige Belgier. Der Rat, die Exekutive und die Verwaltung der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien haben alle ihren Sitz in Eupen. Im Rathaus von Eupen wurden wir im Namen des Bürgermeisters von Vertretern der Gemeinde Eupen herzlich begrüßt. Die Lokalpresse, der Aachener Anzeiger und "natürlich" der Belgische Rundfunk durften nicht fehlen. Nach einer Besichtigung der Eupener Tageszeitung, dem "Grenz-Echo", und einem Rundgang in der Stadt, nutzten wir den freien Nachmittag, um Eupen auf eigene Faust kennenzulernen. Ganz Wagemutige machten sich auf den Weg ins Freibad. Wagemutig? Zum einen war das Wetter alles andere als ansprechend, und zum anderen mußte ein Fußmarsch von fast einer Stunde zurückgelegt werden. Um 17 Uhr war im Rotkreuzzentrum Eupen Realistische Unfalldarstellung angesagt. Anhand von geschminkten Wunden wurden so nicht nur Schmink-, sondern auch Erste-Hilfe-Techniken ausgetauscht.

Das schwarze Gold in der Erde

In Blegny konnten wir am nächsten Tag 60 Meter unter der Erde das harte Los eines Kohlenbergwerksarbeiters kennenlernen. Fast zwei Stunden ohne Tageslicht, bei naßkalter Umgebung und beim Lärm der Maschinen ließen uns alle wünschen, daß wir hier unten nie arbeiten müßten. Oben angekommen, erwartete uns ein Vergnügungspark und eine Fahrt mit der Eisenbahn. Schließlich brachte uns ein Schiff noch in die Provinzhauptstadt Lüttich. Nach dem Empfang beim Provinzialkomittee konnten wir in Kleingruppen Lüttich erkunden. Unsere Damen zog es in die Einkaufsstraßen, die Herren mehr zum kühlen Naß.

Unser letzter ganzer Tag

Die Stimmung im Bus war schon betrüblich, als es am Samstag nach Botrange in das Naturparkzentrum ging. Nicht daß wir den Park nicht sehen wollten, uns machte vielmehr der nahende Abschied zu schaffen. Sieben gemeinsame
Tage schweißten uns zu einer Gruppe zusammen, und morgen hieß es trotzdem "Servus". Das Naturparkzentrum in Botrange ist der größte natürliche Trinkwasserspeicher in Belgien. Eine herrliche Pflanzenwelt und eine Vielfalt an Tieren konnten in diesem Gebiet eine Heimat finden. Ein Spaziergang durch die Pfade des Parks ließ schnell wieder fröhliche Stimmung aufkommen, und wir freuten uns so richtig auf das Freizeitzentrum in Bütgenbach-Worriken.
Im Badesee konnten wir beim Tretbootfahren die Muskeln spielen lasser und im Hallenbad unsere Rettungsschwimmerkenntnisse weitergeben. Nach einem kurzen Abstecher nach St. Vith fuhren wir wieder zurück in unsere Unterkunft. Hier feierten wir bis tief in die Nacht hinein unseren Abschied. Natürlich nicht, ohne bereit! wieder einen Besuch für das nächste Jahr zu vereinbaren. Zu Ostern 1988 wollen wir unsere Freunde vom Jugendrotkreuz Eupen wieder im Kreisverband Traunstein begrüßen und diesmal mit einem Schwerpunkt die Begegnung gestalten. Im August werden wir dann schließlich noch nach Eupen eingeladen, um an einem Workshop teilzunehmen.

Abschied - Neun Tage sind zu Ende

Koffer packen, das Haus und die Zimmer aufräumen, hier mal eine Träne und dort mal ein kleiner Seufzer, der letzte Tag war angebrochen.
Um 11 Uhr 1 ging unser Zug in Eupen vom Bahnhof ab. Zuvor hieß es aber Abschied nehmen. Neun herrliche Tage in Belgien waren
zu Ende, und wir alle nahmen schweren Herzens und mit "nassen Augen"
Abschied.

Die Unterkunft der Traunsteiner auf der Rennstrecke von Blanchimont in Franchecamp