Getrennte Camps für Mädchen und Jungen

Gleich zwei Delegationen des Jugendrotkreuzes nahmen heuer an Internationalen Begegnungen in der Türkei teil. Der Grund dafür: die in islamischen Ländern angesagte Geschlechtertrennung in den Camps. So gab es ein männliches und ein weibliches JRK-Team im Land des Roten Halbmonds. Von ihren Erfahrungen dort berichten für die "baff" Christian Neumeir und Biggi Zwerger.

Christian Neumeier (o), Biggi Zwerger (u)
3/1988

Unser Blick aus dem Fenster schweift über einen Parkplatz, einer Sandwüste gleichend, im Anschluß daran zwei aus Beton gefertigte Basket- und Volleyball-Spielfelder. Vor dem Hintergrund des mit Bergen eingerahmten Marmara-Meeres spielen die Flaggen der vertretenen Nationen im Wind: Türkei, Österreich, Saudi-Arabien, Deutschland, Holland, Syrien, Rumänien, Ägypten und Zypern; daneben das Banner des Roten Halbmonds. Doch der schon fast idyllische Eindruck, den der Badestrand, die ruhige See und der darin eintauchende glutrote Feuerball der Sonne auf uns macht, trügt: Auf dem Betonfeld vor unseren Unterkünften stehen die rund 200 Teilnehmer des "Gesundheitscamps für Jungen" zum Rapport. Den Blick den Flaggen zugewandt, in Habacht-Stellung, im Vordergrund ein "Lehrer", der Kommandos gibt. In türkischer Sprache werden die überwiegend einheimischen Teilnehmer über die Maßregeln des Zusammenlebens belehrt. Die Übersetzung in die
englische Sprache wird auf das Drängen der europäischen Delegierten hin mehr als dürftig nachgeholt. Der Schauplatz dieser militärisch wirkenden Szene befindet sich auf einem abgelegenen Gut des Roten Halbmonds, an einem Küstenstreifen des Marmara-Meeres im westlichen Teil der asiatischen Türkei. Das Programm der Ausschreibung versprach vielfältige Aktivitäten (u.a. Bereiche wie Sport, Handarbeit, Musik, Folklore, bis hin zu internationalen Abenden und Erster Hilfe); die wenigsten davon werden verwirklicht. Der Charakter des Gesundheitscamps wird nur durch die Ableistung des morgendlichen Frühsports gewahrt, der jeden Morgen nach dem üblichen Appell abgehalten wird. Warum dem Lager der Zusatz "Gesundheitscamp" verliehen wurde, kann sich keine der neun Delegationen vorstellen. Jedoch möchte ich stellvertretend für unsere Delegation nicht nur Kritik anbringen. Um Land und Leute kennenzulernen war dieses Camp sicher nicht die richtige Gelegenheit, trotzdem gelangten wir zu der Uberzeugung, die Türkei sei sicherlich eine Reise wert. Allein der dreitägige Aufenthalt im Zentrum von Istanbul hinterließ in uns einen überwältigenden Eindruck. Monumentale Bauwerke zeugen von einer vergangenen Hochkultur, die sich einst vom Norden des Schwarzen Meeres bis vor die Tore Wiens erstreckte. Ebenso an dieser Stelle zu erwähnen ist die türkische Gastfreundschaft, die jedem Europäer widerfährt, der das Land besucht. Eine Reise in die Türkei könnte einen wesentlichen Teil dazu beitragen, die türkische Bevölkerung und damit ihre Lebensweise und Mentalität zu verstehen, und sie somit gleichzeitig etwas mehr zu akzeptieren

die weibliche Delegation

Jugend- und Gesundheitscamp

Zwei Wochen lang in die Türkei, fast nur mit Personen weiblichen Geschlechts, auf ein "Jugend- und Gesundheitscamp"? Na, besonders viel konnte sich keiner von unserer sechsköpfigen Delegation darunter vorstellen. Unsere Vorstellungen nahmen erst konkrete Formen an, als wir uns am Tag der Abreise in Thilo Fleischmanns Büro in München trafen. Dort wurden unsere Augen immer größer und die Unsicherheiten immer kleiner, während wir uns ein Video über das letztjährige Camp ansahen: Swimming-Pool, Meer, saubere Häuser, Kantine, verschiedene Arbeitsgruppen - eigentlich konnte nichts mehr schiefgehen, oder? Der Flug bis Istanbul war schön, nur fast zu kurz, um das servierte Essen zu vertilgen. Im Flughafen wurden wir von einem Herrn des türkischen Roten Halbmonds empfangen, dem bei unserem Anblick ein Fels vom Herzen fiel, weil er bereits seit drei Stunden auf uns wartete. Während der Fahrt nach Istanbul stellten wir fest, daß der türkische Straßenverkehr sich "etwas" vom deutschen unterscheidet - statt Fahrspuren und Blinker gibt es nur Hupen und waghalsige Drängelmanöver. Der erste türkische Abend (in einer Schwesternschule) war vielversprechend - wir genossen viel cay (=Tee), orientalische Musik (die nur beim Ruf des Muezzins unterbrochen wurde) und die ersten Kontakte zu den Mädchen aus anderen Ländern. Als wir am nächsten Morgen die Fahrt nach Mudanya antraten, die fast fünf Stunden dauern sollte, kamen wir Holländer, Tunesier, Jordanier, Koreaner, Dänen und Deutsche - uns bereits wie eine große Familie vor. Einzig die übergenaue Trennung der "leader" ^Delegationsleiter) von ihrer Gruppe, die während der zwei Wochen auch lokkerer wurde, überschattete diese Idylle: Separate Sitzplätze beim Essen und während der Busfahrt fanden wir ziemlich albern. Das Camp liegt vier Kilometer vom nächsten Ort entfernt, direkt am Meer - von der Optik her einfach toll! Halbmondförmig (wie sollte es bei einem Camp des Roten Halbmonds anders sein?) liegen Kantine, Wohnhäuser und die Bungalows der Leiter vor dem Strand angeordnet. So kann jeder den "Blick auf's Meer" genießen und auch den betonierten Sportplatz (mit Basket- und Volleyballfeld) und den Swimming-Pool (der leider nur ein paar Tage funktionierte) vom Balkon der Vierbettzimmer aus sehen. Leicht schockierend empfanden wir das militärische Regiment, mit dem das Camp geführt wurde - die Trillerpfeife unserer obersten Leiterin regulierte für die ganzen zwei Wochen mehr oder minder den Tagesablauf: Aufstehen um halbacht, um acht Morgengymnastik, anschließend Frühstück, Zimmerkontrolle, Strand, halbeins Mittagessen, Mittagsruhe bis halbvier, Strand, Nachmittagsimbiß, Gruppenarbeit bis halbacht, halbneun Abendessen, halbzehn Abendprogramm, elf Uhr Bettruhe. Zum Programm ist zu sagen, daß es bald sehr aufgelockert und die Mittagsruhe fast immer zum Vorbereiten des Abendprogramms genutzt wurde. Verwundert hat uns, daß das Camp hauptsächlich für die Erholung von weniger betuchten türkischen Mädchen
(Durchschnittsalter 15 Jahre) gedacht war und die Arbeit des Roten Halbmonds eher im Hintergrund stand. Die Gruppenarbeit machte großen Spaß, wenngleich sie teilweise sehr anstrengend war: Die Sonne knallte unerbärmlich auf unsere Köpfe, während wir Folkloretanz übten. Die anderen Gruppen machten Handarbeiten, zeichneten, musizierten oder lernten andere Tänze. Das Kantinenessen im Camp war zwar nicht überragend und sicherlich ungewohnt, aber sattwerden konnte jeder, der nicht voreingenommen war. Das gechlorte Wasser parfümierten wir mit ausgepreßten Zitronen, und bei den Ausflügen konnte sich jeder mit Obst eindecken, soviel er tragen konnte. Außerdem gab es einen kleinen Kiosk im Camp, wo es Milch- und Fruchtsaftgetränke, Kekse und diverses Knabberzeug gab - verhungern mußte also keiner, auch wenn er gar nicht erst versuchte, was - zumeist etwas erkaltet - auf den Tisch kam. Zu den Ausflügen, die wegen unserer großen Zahl - 2^0 Mädchen + Leiter immer etwas ausarteten, ist zu sagen, daß sie trotz Streß und Hitze recht lustig wurden. Die Bootsfahrt um die "Gemlik bay" mit Bauchtanz, Schwimmen und Gesängen endete mit starkem Seegang und wird uns sicher ebenso unvergeßlich bleiben wie das türkische Bad und der gedeckte Bazar in Bursa, einer uralten, ehemaligen Hauptstadt. Sehr enttäuscht und entrüstet war unsere Campleitung, als sie erfuhr, daß wir früher als geplant abreisen mußten: Wir konnten am letzten großen Abend, an dem jede Gruppe vorführte, was sie gelernt hat, an dem die Bevölkerung der umliegenden Dörfer ins Camp kommt, um dies und ein großes Feuerwerk zu bewundern, nicht dabeisein. Der Abschied von Mudanya fiel fast jedem schwer, es flössen viele echte Tränen, denn die Herzlichkeit der türkischen Mädchen und Frauen hatte alle ergriffen. Alle ausländischen Gruppen fuhren also, um Fahrtkosten zu sparen, früher nach Istanbul zurück, wo wir wieder in der Schwesternschule wohnten. Wir sahen uns bei brüllender Hitze, im Schnellverfahren, die größten Sehenswürdigkeiten an, räuberten nachmittags den alten Bazar aus und flogen am nächsten Tag mit vollgestopften Koffern heim. Aber wir brachten nicht nur Andenken und Geschenke mit, sondern auch eine lange Liste mit Adressen von neuen Freundinnen, viele herzliche Einladungen und einen Schatz neuer Erfahrungen. Was wir in dieser kurzen Zeit im Umgang mit den anderen Mädchen über die Türkei, den Islam und seine Kultur lernen konnten, wird uns bestimmt auch helfen, die bei uns oft unbeliebten Gastarbeiter besser zu verstehen. Und gegenseitiges Verständnis ist ja schließlich das Ziel einer "Internationalen Begegnung", oder?

die männliche Delegation