Jugendrotkreuz auf dem Prüfstand

Ja, was ist es denn nun, das Jugendrotkreuz? Der Kindergarten des BRK, marktführend als Mimen-Lieferant bei der Realistischen Unfalldarstellung oder zuletzt gar der Jugendverband im Roten Kreuz?

Georg Soller
Soller
4/1988

Zur Beantwortung dieser und zahlreicher daraus folgender Fragen hatten sich vom 23. bis 25. September Jugendrotkreuz-Führungskräfte des BRK-Bezirksverbands Oberbayern in einem Hochlandlager bei Bad Tölz eingefunden, um in der Abgeschiedenheit der Berge einmal in sich zu gehen und dort nach den Wurzeln des Jugendrotkreuz-Daseins zu forschen. In sechs Arbeitsgruppen wurde heftig diskutiert und oft kritisiert, um letztlich doch zu einem Ergebnis zu kommen: Das Jugendrotkreuz gehört zu den schönsten Nebensachen der Welt. Die intensive oberbayerische Bestandsaufnahme wurde schließlich in fleißiger Nachtarbeit in einer 70seitigen Dokumentation festgehalten. Das oberbayerische Forum war für seine Beteiligten - Organisatoren wie Teilnehmer - ein Versuch, ob auch in einer durchaus begrenzten und untereinander bereits bekannten Gruppe neue Impulse für die Jugendarbeit im Roten Kreuz entstehen können. Um es vorweg zu sagen: Grundsätzlich neu waren die Ergebnisse nicht, aber die zeitlich und räumlich äußerst kompekte Aufarbeitung der grundlegenden Probleme vermittelte den Teilnehmern neue Ansatzpunkte für ihre Arbeit. Zusammenhänge etwa zwischen Verbandsarbeit, Jugendarbeit und der notwendigen Darstellung (Öffentlichkeitsarbeit) nach innen und außen wurden von den entsprechenden Gruppen schnell erkannt, da die drei Arbeitsgruppen mit den gleichen Themen - sprich Problemkreisen - zu tun hatten, nur jeweils mit einem anderen Schwerpunkt. "Wozu Jugendrotkreuz" fragten sich schließlich die Autoren des Ergebnisberichts der Arbeitsgruppe "Standortbestimmung". Nachwuchslieferant für die Erwachsenenverbände, Mittelbesorger oder Jugendarbeit nur als Selbstzweck ("weg von der S raße")? Ein Hauptproblem beschäftigte die Diskussionsteilnehmer besonders stark: Die Anerkennung vom Verband. Jedes Mitglied solle seine Fähigkeiten ein bringen, um gemeinsam die Ziele des Roten Kreuzes zu verwirklichen, um sich als Mensch und Mitglied entwikkeln zu können. Damit dies aber auch Spaß mache, sollte innerhalb des Verbandes auch gelten, was man als Grundsatz nach außen vertrete: Menschlichkeit. Vielfach komme nämlich bei besonders aktiven Mitgliedern schnell das Gefühl auf: "Ich bin ja doch nur der Depp vom Dienst". Gefragt sei Teamarbeit, Entscheidungen sollten transparent von "ganz oben" bis "ganz unten" diskutiert werden, jedes einzelne Mitglied solle das Gefühl vermittelt bekommen, wichtig zu sein. Da eine Gruppe meistens nur so gut ist wie ihr Leiter, sollte die Ausbildung einen sehr hohen Stellenwert beigemessen bekommen; "Qualität vor Quantität" sei das Motto. Gedanken zu diesem Thema machte sich vor allem die zweite Arbeitsgruppe. Die Ergebnisse ihrer Bestandsaufnahme sind niederschmetternd: "Die Ausbilder sind oft fachlich überfordert und vor allem sind sie häufig nicht in der Lage, die Ausbildungsinhalte altersspezifisch richtig zu vermitteln (...) Ausbildungen verlaufen häufig als reine Wissensvermittlung vom Ausbilder zum Teilnehmer. Der Unterricht ist dabei ohne jede Abwechslung, nach veralteten Methoden und mit unzureichendem Medieneinsatz gestaltet. Der Teilnehmer wird dadurch zur Passivität verführt (...) In den Lehrgängen wird zu häufig theoretisiert und es werden zuwenig in die Praxis umsetzbare Beispiele behandelt". Folglich rät die Gruppe, mit Verbesserungen bereits bei den Ausbildern zu beginnen, das heißt, ihre fachliche und pädagogische Qualität zu steigern. Durch ein breiteres Ausbildungsangebot
und jugendgemäße Aufbereitung solle man mehr Mitglieder ansprechen und ihre Bereitschaft steigern, die persönliche Qualifikation zu erhöhen. Ein laufender Erfahrungsaustausch schließlich verstärke den erwünschten Trend, dem Mitglied ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zum Verband zu vermitteln. Bemerkenswert an dieser Arbeitsgruppe war allerdings auch, mit welcher Entschiedenheit sie demonstrierte, daß zwischen Forderungen und deren Umsetzung Welten liegen. In einem stocksteifen Vortrag, einzig unterstützt durch Schlagworte, die mittels Folienprojektor an die Wand geworfen wurden, konnte der Sprecher der Gruppe bei der Präsentation der Ergebnisse am Sonntag vormittag nur wenig Aufmerksamkeit erzielen. Nicht zu unrecht bemerkte das Redaktionsteam der Ergebnisdokumentation im Vorwort, daß das Forum erst bei einem lebensnahen Umsetzen der Ergebnisse ein Erfolg sei. Sicherlich die größten Schwierigkeiten dürften die Jugendrotkreuzler bei der Verwirklichung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe III "Miteinander in den Rotkreuz-Gemeinschaften" haben. Das Ziel aller Gemeinschaften müsse es sein, so die Gruppe, daß die Rotkreuzidee gemeinsam und partnerschaftlich verwirklicht werden möge. Eine unterschiedliche Stelienwertigkeit unter den Gemeinschaften müsse dabei vermieden werden. Wer immer von den Klagen der Jugendrotkreuzler gehört hat, wie sehr ihre Existenzberechtigung etwa von manchen WasserwachtGruppen oder einigen Rettungssanitätern angezweifelt wird, weiß, wieviel Aufklärungsarbeit da noch nötig ist. Zwar ist durchaus bekannt, daß vor allem aus der Jugendrotkreuzarbeit "aufgestiegene" Rotkreuz-Helfer in den anderen Gemeinschaften für ein besseres Klima sorgen, doch fehlt es noch sehr an gemeinsamen Veranstaltungen, bei denen die Berührungsängste abgebaut werden können. Das Fazit der Gruppe "Redt's mit'nand" gilt uneingeschränkt. Miteinander reden ist die direkteste Form der Informationsvermittlung, einem Problemkreis, dem sich die für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing zuständige Gruppe widmete. Zielstrebig trennte man sogleich die Darstellung der eigenen Arbeit in zwei Richtungen; einmal nach innen zum Restverband, und dann nach außen an die Öffentlichkeit. Mit welchen Mitteln die Informationen über das Jugendrotkreuz transportiert werden, ist inzwischen fast jedem Gruppenleiter klar. Folglich diskutierte die Gruppe mehr über die zu transportierenden Inhalte. Und siehe da, plötzlich tauchte wieder die alte Sprachlosigkeit auf. In einem sehr witzigen "Rundfunkinterview" thematisierte die Gruppe am Sonntag morgen diese Sprachlosigkeit, die im Nachbeten auswendig gelernter Grundsätze und Definitionen nicht aufgehoben wird. Nur eine erfolgreiche Gruppenarbeit läßt sich in der Öffentlichkeit auch erfolgreich darstellen, lautete die Feststellung. Erfolgreiche Gruppen sind meistens auf findige Gruppenleiter zurückzuführen - und die müssen ihre Ideen auch irgendwo finden. Den verbandsinternen Medien sollte in dieser Hinsicht eine große Rolle zukommen, die diese aber nach Meinung aller Diskussionsteilnehmer nicht erfüllen. "Zu abgehoben" sei das eine, zu wenig praxisorientiert das andere Magazin. Gewünscht wurde eine Art Rezeptbuch - zwar nicht in der klassischen Form, aber doch mit Anknüpfungspunkten für weniger kreative Gruppenleiter, die nicht zu einem starren Schema mißbraucht werden könnten. Hingewiesen wurde auch darauf, daß aus einem "Informationspool" nicht nur Ideen abgezogen werden können, sondern auch neue Gedanken aus den Gruppen hinzukommen müßten. Die letzten beiden Themen, die wie alle anderen Diskussionskreise per Umfrage von den JRK-Gruppenleitern aus Oberbayern ermittelt wurden, waren inhaltlich stärker auf das Sachthema fixiert. Sowohl im "Schulsanitätsdienst", wie auch in der "Behindertenarbeit" stehen noch viele grundsätzliche Fragen offen. Insbesondere die Gruppe, die sich mit Behindertenarbeit beschäftigte, konnte von ihren sehr erfahrenen Referenten eine Vielzahl praktischer Tips und Anregungen erhalten. Entsprechend legte die Gruppe auch Wert darauf, daß das Fachreferat vollständig in die Dokumentation aufgenommen wurde. Insgesamt wurde in dieser Gruppe weniger diskutiert, so jedenfalls entstand bei Beobachtern von außen der Eindruck, als vielmehr instruiert. Trotzdem - oder gerade deshalb? - gelang es dieser Gruppe bei der Präsentation der Ergebnisse im Forum, auf unbeschreiblich witzige Art, die Probleme der Behinderten mit ihrer Umwelt darzustellen. Auch das Thema Schulsanitätsdienst konnte von den Teilnehmern sehr
konkret angegangen werden. Die Problematik beginnt dabei schon bei der Suche nach einem geeigneten Betreuungslehrer für das Projekt. Insofern unterscheidet sich der Schulsanitätsdienst zunächst von den Problemen der üblichen Jugendarbeit. Für das Jugendrotkreuz in der Form einer lokalen Gruppe besteht vor allem die Möglichkeit, mit den Schulsanitätern einen guten Kontakt zu halten, und damit einen Erfahrungsaustausch möglich zu machen. Ein Lehrer einer Münchner Realschule, der mit einigen Schülern in der Gruppe anwesend war, suchte auch dringend Kontakt zu anderen Schulsanitätsgruppen. Die Schule, so ist festzuhalten, ist ein durchwegs anderes Umfeld als die Freizeitgruppe. Thesen, Überlegungen und Anregungen gab es also genug bei diesem Forum. Die 70seitige Dokumentation birgt für den aufmerksamen Leser Stoff für die nächsten drei Jahre. Die Umsetzung dieser Gedanken in reale Jugendarbeit allerdings fordert vom einzelnen Mitglied wie auch vom gesamten Verband eine erhöhte Beweglichkeit und viel Kraft. Mit der wichtigste Aspekt für die Zukunft dürfte sein, daß sich kein Gruppenleiter alleingelassen fühlt. In der guten Stimmung des Forums jedenfalls zeigten sich fast alle Teilnehmer von einer ungewöhnlich kreativen Seite. Deshalb geriet die Darstellung der einzelnen Gruppen zu einer abwechslungsreichen, durchaus anspruchsvollen und nicht zuletzt amüsanten Show. "So", sagte ein Teilnehmer, "macht Jugendrotkreuz richtig Spaß".
 

Stimmungsbarometer: gut