Tutti fratelli im Supercamp

Über 600 Jugendrotkreuzler aus 132 Ländern, darunter vier Delegierte aus der Bundesrepublik, trafen sich zum bisher größten internationalen Zeltlager des Jugendrotkreuzes inSolferino/Italien.

Ruth Tellert
4/1989

Das 125jährige Jubiläum des Roten Kreuzes im vergangenen Jahr war Anlaß für dieses Supercamp, das von der Liga der Rotkreuzgesellschaften - mit Unterstützung des Italienischen Roten Kreuzes - veranstaltet wurde. Am 1. September 1988 trafen wir auf dem Zeltplatz, einer großen Wiese zwischen Solferino, dem ideologischen Geburtsort des Roten Kreuzes, und Castilione, südlich des Gardasees, ein. Die 132 Delegationen wurden in insgesamt sieben Subcamps untergebracht, die nach den sieben Grundsätzen des Roten Kreuzes (Menschlichkeit, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Freiwilligkeit, Einheit, Universalität) benannt waren. Am nächsten Abend fand eine große Eröffnungsfeier statt. Die Delegationen liefen in alphabetischer Reihenfolge in ihren Nationalkostümen bzw. Rotkreuzuniformen im großen Essenszelt ein. Es war beeindruckend, die vielen JRKler der verschiedensten Länder und Kulturkreise zu sehen. An den folgenden Tagen erarbeitet jedes Subcamp seinen Grundsatz durch Bilder, Gedichte, Definitonen, Lieder, Spiele, Theaterstücke usw. Die Bedeutung unseres Grundsatzes "Freiwilligkeit" wurde mir durch eine gemeinsam erarbeitete Definiton " voluntary Service is an unpaid act oflove given to everybody regardless ofrace or religion and without looking for recognition or material gain" (was soviel heißt als: "Freiwilliger Dienst ist ein unbezahlter Liebesdienst an Jedem - ungeachtet seiner/ihrer Rasse und Religion - und ohne Streben nach Ruhm und materiellem Gewinn) erstmals richtig bewußt. Während der folgenden Tage machten wir einen Ausflug "auf den Spuren Henri Dunants", d.h. wir besichtigten die Kirche in Castilione, die nach der Schlacht von Solferino 1859 von Henri Dunant als Lazarett  benutzt wurde, und einen Aussichtsturm mit Blick auf die ehemaligen Schlachtfelder. Außerdem besuchten wir das Rotkreuzmuseum in Castilione. Einmal war jedes Subcamp von einem Ort am Gardasee zum Essen bei Gasteltern eingeladen. Trotz Sprachschwierigkeiten verbrachten wir alle einen schönen Abend. Außerdem unternahmen wir einen Tagesausflug nach Venedig und einen Fackelzug zum Rotkreuzdenkmal in Solferino, einer Mauer, an der beschriftete Platten mit den Namen aller Rotkreuzgesellschaften angebracht sind. Nach zehn Tagen Zeltlager in Solferino fuhren wir alle mit einem Sonderzug nach Genf. Nach einer gemeinsam in Solferino verfaßten Ansprache an die Weltöffentlichkeit in den vier offiziellen Sprachen des Roten Kreuzes (Englisch. Französisch, Spanisch, Arabisch) auf dem Platz der Nationen zogen wir in unseren Unterkünften in Genf ein. Während unseres viertägigen Aufenthaltes in Genf waren wir in drei unterirdischen Bunkern untergebracht. In Genf besichtigten wir die Liga der RK-Gesellschaften, das IKRK und das neueröffnete Rotkreuzmuseum. Außerdem fand eine Versteigerung von "Supercamp Souvenirs" statt, deren Erlös den Aufbau des Blutspendedienstes im Libanon unterstützen sollte.
Trotz des hohen finanziellen Aufwandes war das SUPERCAMP keine Verschwendung von Spendengeldern, sondern ein aktiver Beitrag zur Völkerverständigung. So hatten viele Jugendliche aus ehemals oder noch kriegsführenden Ländern (Iran/Irak), (Großbritannien/Argentinien) erstmals die Möglichkeit, auf neutralem Boden mit "ihren Feinden" zu sprechen und diese als Menschen zu s ehen. Wir Deutsche, die wir aus einem seit fast 45 Jahren in Frieden lebenden Land kamen, erfuhren hautnah über die Situation der Bevölkerung und des Roten Kreuzes in kriegsführenden Ländern. So erfuhr ich im SUPERCAMP die derzeitigen Lebensbedingungen der Libanesen und hörte von den zehn libanesischen Rotkreuzlern, die in den vergangenen vier Jahren während ihrer freiwilligen Rotkreuzarbeit für verletzte Soldaten und Zivilpersonen von Schüssen tödlich verletzt wurden. Die Nachricht, daß zum ersten Mal seit 14 Jahren Bürgerkrieg im Libanon ein Waffenstillstand zustandekam, nahm ich sehr viel bewußter auf als alle Kriegsberichte vor dem Camp, denn der Waffenstillstand bedeutet nun mehr Sicherheit für Raymond und Nathalie, die ich auf dem SUPERCAMP kennengelernt habe und deren Mut und Idealismus ich bewundere. Das wunderbare Gefühl des friedlichen Zusammmenseins trotz aller Unterschiede hat uns allen bewiesen, daß weltweiter Friede mit ein wenig Toleranz möglich ist.