Die Schuld beginnt nicht erst beim Mitmachen; sondern schon beim Weghören

Weg mit den Vorurteilen - wir wollen wissen, wie es wirklich aussieht. Denn seit die Molotow-Cocktails fliegen und die Häuser wieder brennen, ist nicht einmal das Wegsehen mehr zu verantworten. Betrachtet man die Stammtischparolen und ausländerfeindlichen Sprüche, die kursieren, einmal genauer, so wird deren plumpe Ignoranz offenbar.

N.N.
3/1994

Etwa bei der Parole: „Das sind doch sowieso nur Wirtschaftsflüchtlinge". Tatsächlichlag die Anerkennungsquote 1991 nur bei 6,9% und war im letzten Jahr noch geringer. Demnach müßten mindestens 93,1% unberechtigt herkommen. Doch bei diesen Zahlen bleibt völlig außer acht, daß seit 1985 Krieg und Bürgerkrieg nicht mehr als Asylgründe anerkannt werden. Dennoch dürfen diese Flüchtlinge, laut der Genfer Flüchtlingskonvention Artikel 1/1, welche auch von Deutschland unterschrieben wurde, nicht zurückgeschickt werden. Sie haben ein Bleiberecht, werden aber nicht als Asylanten anerkannt. Irrsinnigerweise müssen jedoch Kriegsflüchtlinge, die später wieder in ihr Heimatland zurück möchten, einen Asylantrag stellen, da die Gemeinden sonst keine Zuschüsse für sie bekommen. Jeder sollte sich einmal fragen, ob nicht wirkliche Not vorhanden sein muß, wenn Menschen ihre Heimat aufgeben. Welche Eltern würden nicht Hab und Gut verlassen, um Ihren Kindern die Ernährung zu sichern, eine Schulausbildung zu ermöglichen oder um sie vor der Bedrohung feindlicher Übergriffe zu schützen? Ein weiterer Vorwurf gegen Asylanten lautet: „Die leben hier wie Gott in Frankreich!" Eine Familie im Asylantenwohnheim in Bindlach erhält: 2 Zimmer von je ca. 20 qm, in denen 4-7 Personen leben. Seit 1.11.93 beträgt der Sozialhilfesatz pro Monat 80 DM pro Erwachsener und 40 DM pro Kind, zusätzlich bekommen sie Essenspakete, zweimal im Jahr erhalten sie Kleidergutscheine. Für Asylbewerber besteht Residenzpflicht, das heißt, sie müssen in der Asylunterkunft wohnen und dürfen den Landkreis, in dem sie leben nicht verlassen.

Viele sagen auch: „Wir können schließlich nicht alle aufnehmen". Deutschland wird immer als das Einwanderungsland schlechthin bezeichnet. Tatsache aber ist, daß die wesentlich ärmeren afrikanischen Länder entscheidend mehr Flüchtlinge zu verkraften haben, als die reichen Industriestaaten. Z.B. kommt in Jordanien auf fünf Einwohner ein Flüchtling, in Deutschland dagegen auf 100 Einwohner nicht einmal einer. Außerdem wird behauptet: „Die nehmen uns doch die Arbeitsplätze weg". Tatsächlich aber wird es den Asylanten sehr schwer gemacht eine Arbeit zu finden und zu behalten. Nach einem Gesetz vom Juli '92 erhält ein Asylant erst dann eine Arbeitsstelle, wenn vorher geprüft worden ist, ob für diese nicht ein Deutscher, ein EG-Mitglied oder Gastarbeiter in Frage kommt. Man kann sich vorstellen, daß für die Asylanten nur die Jobs übrig bleiben, die sonst keiner machen möchte. Oder könntet Ihr Euch vorstellen im Recyclinghof am Fließband den „Grüner Punkt"-Müll zu sortieren? Des weiteren sind die Asylanten, die dennoch eine Arbeitsstelle gefunden haben ebenfalls auch Konsumenten, deren Einkommen in die deutsche Wirtschaft zurückfließt. Ebenso zahlen sie ihren Beitrag zur Renten- und Sozialversicherung, wie jeder deutsche Arbeitnehmer auch. Weiterhin wird behauptet Ausländer nähmen uns die Wohnungen weg. Tatsache aber ist, daß Asylanten, über deren Antrag noch nicht entschieden ist, im Asylantenwohnheim leben müssen. Selbst für den Wohnraum im Wohnheim wird von den arbeitenden Asylanten, deren Einkommen über dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf liegt, eine Art Miete verlangt. So zahlt z. B. eine Asylbewerberfamilie je nach Einkommen für den Haushaltsvorstand bis zu 300 DM und für jeden weiteren Haushaltsangehörigen bis zu 150 DM. Ist der Asylantrag angenommen, so müssen die Asylanten ihre Unterkunft verlassen und sind auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen. Dort aber zahlen sie, nach einer Studie aus Nordrheinwestfalen, für den gleichen Wohnraum ein Drittel mehr als deutsche Mieter. Zudem weigern sich viele Deutsche ihre Wohnungen an Ausländer zu vermieten. Die Schuld der Wohnraumproblematik bei den Ausländern zu suchen ist einfach. Doch damit wird nur die Tatsache verschleiert, daß eine falsche Wohnraumpolitik, insbesondere die Einstellung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, für diese Problematik verantwortlich ist. Die Ohnmacht der Bevölkerung richtet sich oft gegen Asylanten, Ausländer und Behinderte - also gegen die schwächeren Mitglieder unsere Gesellschaft - da die Politik der Mächtigen für den Bürger oft undurchschaubar und unbeeinflußbar erscheint. Bei genauerem Betrachten dieses Artikels muß man sich fragen: Gab es so etwas nicht schon einmal?