Und wo sie ist, entsteht Bewegung

Geboren wurde sie am 12. Dezember 1943 in Hanau am Main.

N.N.
3/1993

Ihr Vater entstammt einer alten Prager Bürgerfamilie, die Mutter ist Tochter eines reichen Bauern aus dem rumänischen Siebenbürgen. In der Zeit der Trümmerjahre ist immerzu wenig Geld im Hause, zweitweise arbeitet die ganze Familie in Heimarbeit, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Als Sechsjährige organisiert Renate die Lebensmitteleinkäufe der Familie, mit acht kennt sie sich auf dem Markt aus wie eine Erwachsene. Prägend für die Lebenshaltung der Familie sind aber nicht die eher ärmlichen Verhältnisse, sonden das gesellige und großbürgerliche kulturelle Bewußtsein der Prager Großmutter. Und so ist Renate Schmidt eine Frau, die gern und mit Volldampf lebt, Mißstände zielstrebig angeht, Kompromisse bilden kann. Obwohl ihr Geburtsort in Hessen liegt, bezeichnet sich Renate Schmidt als "waschechte Fränkin". In Hanau verbrachte sie nur ihr erstes Lebensjahr. Die entscheidenden Stationen waren Coburg, Fürth und Nürnberg. "Alles, was mich geprägt hat, hat in Franken stattgefunden". Bewegung kennzeichnet ihr ganzes bisheriges Leben: Mit 17, kurz vor dem Abitur bekam Renate Schmidt ihr erstes Kind. Der Vater des Kindes, selbst erst 20, wird für volljährig erklärt, damit beide heiraten und das Kind ehelich zur Welt kommen konnte. Renate Schmidt arbeitete in einer Fabrik, stieg in einen Männerberuf ein, lernte Programmiererin und qualifizierte sich schließlich zur gut bezahlten Systemanalytikerin. Die junge Frau mit dem Gespür für soziale Gerechtigkeit wird zur Betriebsrätin gewählt und engagiert sich gewerkschaftlich und in der SPD. Und weil sie mehr verdient als er, hängt Ehemann Gerhard seinen Beruf als Architekt an den Nagel und wird Hausmann. 1980, damals 37jährig, zog sie für die SPD in den Bundestag ein. Der Aufstieg der Renate Schmidt begann. 1984 starb überraschend ihr Mann, 23 Jahre war sie mit ihm zusammen. Während sie beruflich und politisch Karriere machte, hatte er den Haushalt geführt,
war dafür bestaunt und bespöttelt worden. Plötzlich fehlte ihr ein Weggefährte, Freund und Berater. Lange benötigte sie, um den Verlust zu verkraften. Sie verschanzte sich hinter ihrer Arbeit, kämpfte gegen Depressionen an und tauchte nach zwei Jahren in Bonn wieder auf. Sie hat noch immer Lust an einer politischen Karriere, ihre Arbeitswut ist unverwüstlich. 1987 wird sie stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Und seit April 1991 führt sie als Chefin den bayerischen SPD-Landesverband. Jetzt sitzt sie schon ganz oben, als Vizepräsidentin des Bundestags. Den Bundestag leitet sie locker, aber energisch. Wenn jemand die Redezeit überschritten hat, fährt sie unbarmherzig dazwischen. Ein strahlendes Lächeln bekommt jeder von ihr gratis dazu. Daß sich Renate Schmidt als Vizepräsidentin auf der Bonner Bühne ebenso sicher bewegt wie im Bierzelt des heimischen Wahlkreises das gehört dazu zum Politikerinnen-Dasein. Auch den Terminstreß zu bewältigen, aus dem Stand über die unterschiedlichsten Themen parlieren zu können, unterscheidet sie nicht von ihren Kollegen. Aber ihr Charme, ihre Herzlichkeit. Ihren Wohnsitz hat Renate in Nürnberg, München und Bonn, überall wo sie präsent sein muß. In München und Bonn sind es Wohngemeinschafen. In Nürnberg ist es ein kleines Haus in einem verwilderten Garten - ein Rückzugsort, voll mit Büchern und Bildern.

Zusammengestellt aus "Brigitte", "taz" und "Marie Ciaire" von A. Franke.