Armenien: Karges Land voller uralter Geschichte

... so lautete die Aufforderung, an einem Hilfskonvoi teilzunehmen in der vorletzten Ausgabe der baff. Inzwischen ist allerhand Zeit vergangen, das dreiwöchige Abenteuer ist überstanden und jetzt schreibe ich einen Reisebericht über etwas, worüber ich ein Buch schreiben könnte. Schwierig!

Gabi Grimm
Uwe Kraus
4/2003

Uisere Truppe setzte sich aus acht Herren aus Schrobenhausen, die alle schon verschiedene derartige Unternehmungen unternommen hatten, Uwe Kraus aus Weidenbach und meinereiner zusammen. Bei einem ersten Treffen hatten wir zwei Franken den Eindruck, dass wir es mit so vielen Oberbayern nicht leicht haben würden (oder umgekehrt?). Aber da gab es schon kein Zurück mehr. Am frühen Morgen des 12. Oktober ging es in Schrobenhausen los. Der Konvoi bestand aus den "beiden Lastzügen Emirna und Elsa, einemVW-Transporter als Führungsfahrzeug und mitten drin uns beiden mit einem Höchdach-Sanka, der in Armenien" bleiben sollte. Auf den LKW war Material für das Orthopädische Zentrum in Yerewan sowie ein Hilfslazarett aus dem ehemaligen Bestand des Zentrallagers Ebenhausen verlastet.
Warum ich die erste Etappe bis Österreich gefahren bin, weiß ich heute nicht mehr; ebenso wenig wie ich weiß, wie ich überhaupt bis dort gekommen bin. Schlafen hatte ich vor der Abfahrt nicht können und so fuhr ich halt immer den Rücklichtern des Transporters nach und hoffte, dass es endlich hell würde. Immerhin war nach der Tank-, Pinkel- und Kaffeepause Uwe mit Fahren dran. Und so haben wir uns all die Tage schön abgewechselt, bis zum 21. Oktober, an dem wir endlich in Yerewan ankamen, nach ca. 3500 Kilometern. Natürlich haben wir in der Zwischenzeit jede Menge erlebt, machte doch die Hinfahrt schon fast die Hälfte der drei Wochen aus. Wir durchquerten Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Fast einen ganzen Tag unseres Lebens verwarteten wir hinter irgendwelchen Grenzen, bis endlich auch die LKW abgefertigt waren. Immer wieder überkamen uns dabei gemeinsame Fressattacken, denen größere Mengen Schokolade zum Opfer fielen. Einen weiteren Tag verbrachten wir wartend im Hafen von Burgas, voller Erwartung auf das ,,Traumschiff', das uns über das Schwarze Meer transportieren sollte.
Und da Reisen bekanntlich bildet, sahen wir unterwegs nicht nur Land und Leute, sondern genossen auch - wo es möglich war - landestypisches Essen (und wo dies nicht möglich war, gab es oberbayerische Wurstkonserven). Außerdem erfuhren wir während der vielen Wartezeiten und an manchem langen Abend alles über die Schrobenhausener Kommunalpolitik, die dortigen Verkehrsprobleme und die einschlägigen Lösungsversuche. Wir wissen seither, was "Klapperl" und "Schnapperlbier" sind und wurden eingehend darüber informiert, was im Rahmen abendlicher Umtrünke beim Gläseranstoßen zu beachten ist, will man nicht beträchtliche Nachteile für die persönliche Zukunft in Kauf nehmen (da man letzteres aus Gründen des Jugendschutzes hier leider nicht abdrucken kann, bleibt demjenigen, der es wissen will, nur übrig, einmal mit diesen Leuten auf große Fahrt zu gehen). Als wir am Ziel unserer Reise ankamen, waren wir jedenfalls alle ein Herz und eine Seele, wer hätte das gedacht? Wäre doch gelacht, wenn Völkerverständigung nicht auch im Kleinen funktionierte!
Unsere Überfahrt über das Schwarze Meer dauerte ca. 55 Stunden. In dieser Zeit legten wir gute 1000 km zurück. Unsere Erwartungen an das Schiff erfüllten sich voll. Die Unterbringung erfolgte in luxuriösen Kabinen, denen die sanitären Einrichtungen m nichts nachstanden. Von der Verpflegung ganz zu schweigen. Spaß beiseite: der Kahn ist ungefähr vierzig Jahre alt und sieht genauso aus. Generationen von Fernfahrern haben die schaumgummigefüllten Kopfkissen dazu benutzt, das Wasser auf den Fensterbrettern aufzusaugen, bevor es in den Kabinen herumschwappen kann. Nie im Leben war ich so froh um meinen eigenen Schlafsack! Obwohl ich nicht sicher bin, ob er inzwischen das intensive Schiffsdieselaroma wieder völlig abgelegt hat, das sich in unserer Kabine hartnackig hielt. Beruhigend wirkte die Anleitung für die Schwimmwesten, leider konnten wir aber keine einzige entdecken. Nachdem das Wetter am ersten Tag eher bescheiden war, hatte es sich am Sonntag wieder beruhigt. So konnten wir bei Sonnenschein und frischer Luft den ganzen Tag an Deck sein und den Delphinen zuschauen, bevor wir uns am Abend wieder dem exklusiven Videoprogramm an Bord widmeten. Als einzige Frau auf dem ganzen Schiff habe ich mich so richtig,, wohl'' gefühlt! Am Montagmorgen beim Aufstehen war schon Land in Sicht: Georgien. Hier wartete Lucy; die Dolmetscherin ausYerewan, auf uns, um uns nach Armenien zu geleiten. Sie sollte von nun an unser guter Geist sein. Auch hier gab es wieder einige Wartezeit, bevor wir in die Dunkelheit hinein ins Landesinnere fuhren. Spät in der Nacht legten wir eine kurze Schlafpause an einer Tankstelle ein, bevor I . es noch vor dem Morgengrauen wieder weiterging. Nachdem wir die Hauptstadt Tiflis hinter uns gelassen hatten, erreichten wir auch bald das ,,Ende der Ausbaustrecke": von nun bis zur Grenze nach Armenien gab es nur noch eine Lehmpiste, durchsetzt mit großen Kieselsteinen und mit teilweise badewannengroßen Löchern. Um hier durchzukommen, muss man die „Straße" in ihrer ganzen Breite benutzen, was erstaunlicherweise auch trotz Gegenverkehr immer irgendwie funktioniert. Dabei hatten wir noch Gluck, die Straße war nämlich ziemlich trocken! Die Grenze zwischen Georgien und Armenien besteht eigentlich nur aus rostigen Containern, was die Behörden aber auch nicht davon abhält, jede Menge Bürokratie zu verursachen. Wieder hieß es warten und wieder ging es erst am späten Nachmittag weiter. So sahen wir leider nicht allzu viel von der nordarmenischen Landschaft bei Tageslicht. Bereits im Dunkeln hatten wir noch eine Paßstrecke zu bewältigen, die sich im unteren Bereich ganz gut anließ. Irgendwo auf halber Höhe begann allerdings die Baustelle und von da ging es in Qualität und Breite eines Feldweges die engen Haarnadelkurven hinauf und hinunter. Nicht einfach für Emma und Elsa, aber die Fahrer schafften es; Gegenverkehr durfte in den Kurven halt keiner kommen.

Ankunft in Yerewan

Es wurde fast Mitternacht, bis wir Yerewan erreichten. Unser Ziel war ein Krankenhaus, das hoch über der Stadt liegt und nur über holprige, löchrige, kurvige und steile Straßen zu erreichen ist. Während unsere Mannschaft ihr Nachtlager im Krankenhaus zugewiesen bekam, mussten die beiden LKW weiter unten am Berg "übernachten''.
Im Hinterhof des Krankenhauses befindet sich das Orthopädische Zentrum, das das BRK nach dem verheerenden Erdbeben von 1988 hier eingerichtet hat. Im Grunde besteht das Gebäude aus lauter zusammengesetzten Containern mit einem überdachten Innenhof. In emem weiteren Komplex befindet sich die Werkstatt. Im Aufenthaltsraum empfingen uns die Mitarbeiter der Orthopädie, die den ganzen Abend auf uns gewartet hatten, mit einer reich gedeckten Tafel. Da gab es - zu mitternächtlicher Stunde - armenisches Schaschlik mit Lavash, dem armenischen Brot, Salat, Wurst, Käse, Wasser, Bier, Wodka... Und wir wurden mit all diesen Dingen herzlich begrüßt. Wir waren alle müde, durstig und ausgehungert und obwohl wir Fremde m einer fremden Umgebung waren, war es für uns ein Gefühl wie Heimkommen und sich Zuhause fühlen.
Mittwoch, Donnerstag und Freitag verbrachten wir noch mit der Truppe aus Schrobenhausen. Unsere Betreuer vom Orthopädischen Zentrum gaben sich alle erdenkliche Mühe, um uns in kurzer Zeit möglichst viel zu zeigen uns es uns so angenehm wie möglich zu machen. Am Donnerstagabend konnten endlich die LKW entladen werden und mit Hilfe vieler fleißiger Hände wanderten all die Hilfsgüter in das Krankenhaus. Einmal hatten wir Gelegenheit, durch eine Station zu gehen. Wenn man die spärliche Ausstattung so anschaut, wird das Krankenhaus unsere Sachen bestimmt gut gebrauchen können. Übrigens gibt es m Armenien keine Krankenversicherung, man muss alles selbst bezahlen. Medikamente für die Patienten müssen die Angehörigen erst in der Apotheke kaufen und auch für die Verpflegung der Kranken sind die Verwandten zuständig.
 

Abschied vom Team Schrobenhausen

Am Samstagmorgen mussten wir uns von den Schrobenhausener Freunden verabschieden. Früh um fünf traten sie ihre Heimreise an und wir standen auf dem Hof des Krankenhauses über den Dächern von Yerewan, winkten ihnen nach und fühlten uns fast ein bisschen verlassen.
Von nun an "gehörten'' wir dem Armenischen Jugendrotkreuz. Von den Mitarbeitern war einiges Programm für uns erstellt worden. So begleiteten uns ehrenamtliche Mitglieder zum Stadtbummel, in das Nationalmuseum, in das Museum für alte Handschriften, zum Museum zum Gedenken an den Völkermord und vieles mehr. Mehrfach waren wir zum Abendessen in Familien eingeladen, die keine Mühe gescheut hatten, uns große Mengen landestypischer Spezialitäten aufzutischen. Zum Glück gelang es uns, beim Frühstück und Mittagessen einzusparen, damit wir Platz für das Abendessen hatten.
Auch gewannen wir Einblicke in die Arbeit des AKK. Gleich zu Beginn erzählte uns Katharina Vardanian, die hauptamtliche Kraft des AJRK, alles über die Tätigkeiten. Am Montag wurden wir durch sämtliche Abteilungen des Generalsekretariates gereicht, die uns alle ihre Arbeit schilderten. Wir besuchten zwei Kreisverbände und ließen uns dort über die Abeit berichten. An einem Nachmittag fuhren wir mit mehreren JRK'lern in ein Wohnheim für armenische Flüchtlinge, die z. B. aus Berg Karabach stammen. Das JRK besucht dort verschiedene alte Menschen, die keine Angehörigen haben und mit ca. 10 $ im Monat auskommen müssen. Ich habe nie zuvor einen so trostlosen Ort gesehen! Ich habe es nicht mal fertig gebracht, dieses Elend zu fotografieren. Und dennoch bewahren die Menschen hier ihre Würde und bieten uns zum Abschied etwas von dem wenigen an, das sie haben und das wir nicht wagen auszuschlagen.

Treffen mit Meri

Am Mittwochmorgen fanden wir uns wieder einmal in der Orthopädiestation ein, denn an diesem Tag kam Meri. Sie zu sehen war ja ein Hauptanliegen unserer Reise, wurden ihre Prothesen doch teilweise aus Spenden finanziert, die bayerische JRKler zusammengetragen hatten. Meri hat durch eine Mine einen Fuß und beide Arne verloren. Sie wohnt weit weg vonYerewan fast an der Grenze zum Iran und muss eine ziemlich lange Reise machen, wenn sie zum Check in die Orthopädiewerkstatt muss. Meri kam mit ihremVater und ihrer Cousine. Leider konnte niemand von ihnen Englisch und so konnten wir uns nur schwer unterhalten. Meri hat die Schule abgeschlossen und muss sich nun darüber klar werden, was sie weiterhin machen möchte, vielleicht will sie etwas mit dem Computer tun. Ara schaute Mens Fußprothese nach und fand etwas zu reparieren. Bald wird Meri aber eine neue Prothese brauchen. Hämo, der Orthopädiemeister, überprüfte dann Meris Arme und stellte die Mechanik neu ein. Nach diesen Arbeiten fuhren wir mit Meri in die Stadt, wo sie sich noch ein paar Kleidungsstücke für den Winter kaufen durfte. Damit war unsere Zeit mit Meri auch schon zu Ende.

Erdbebenregion

Am Nachmittag fuhren wir mit Herrn Hieke von der Auslandsabteilung des BRK, der ein paar Tage zuvor eingetroffen war, nach Spitak. Dort, nordwestlich von Yerewan, lag 1988 das Epizentrum des Bebens. Fast die ganze Stadt lag in Trümmern, etwa die Hälfte der Einwohner kam ums Leben. Binnen kurzer Zeit traf damals Hilfe aus aller Herren Länder ein, eine Sensation nach der jahrzehntelangen kommunistischen Abschottung, In den Monaten danach bauten viele Länder ganze Dörfer auf, auch Deutschland. Die meisten Häuschen von damals sind auch heute noch bewohnt, auch die Stadt hat man weitgehend wieder aufgebaut. Aufgrund der geophysischen Gegebenheiten liegt Armenien aber in einer chronisch erdbebengefährdeten Region. Die Katastrophe kann sich jederzeit wiederholen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man sich bewusst macht, dass dort, wo man gerade ist, vor ein paar Jahren nichts als Trümmer lagen. Und es ist bedrückend, auf einem riesigen Friedhof zu stehen und wohin man schaut, steht auf jedem Grabstein der gleiche Todestag...
Am Samstag machten wir noch einen Ausflug zum Sevan-See, den man unbedingt gesehen haben muss, wenn man in Armenien war. Der blitzblaue See liegt inmitten einer herrlichen Gebirgslandschaft, deren höchste Gipfel jetzt, Anfang November, bereits vom ersten Schnee bekrönt waren. An unserem allerletzten Tag in Yerewan zogen wir noch einmal mit Lucy durch die Stadt, um die letzten Einkäufe zu erledigen.

Rückfahrt

Am Montagmorgen mussten wir schon kurz nach zwei Uhr aus den Federn, denn unser Flieger ging um fünf Uhr. Die unersetzliche Lucy holte uns ab und brachte uns zum Flughafen. In ihrer unwiderstehlichen Art überzeugte sie den Mann beim Check-In-Schalter, unser Übergepäck umsonst mitzunehmen. Ansonsten waren wir total abgebrannt gewesen. Ich weiß gar nicht, was wir alle die Tage überhaupt ohne Lucy gemacht hätten; sie war wirklich der gute Geist während unseres Aufenthaltes. Lucy hatte für jedes Problem eine Lösung, Lucy wusste und machte alles für uns, Lucy zeigte uns die schönsten Kneipen, .. Ach Lucy, hoffentlich liest Du irgendwann mal diese Zeilen!
Nun lagen nur noch zwei Etappen vor uns: Der Heimflug mit Umsteigen in Moskau und die restliche Heimreise von München mit einem kleinen Abstecher. Am Münchener Flughafen wurden wir zunächst einmal von Karin Hölscher von der Landesgeschäftsstelle begrüßt. Bald darauf traf auch mein Mann ein und wir setzten uns in Bewegung Richtung Heimat.
Eigentlich wären die Schrobenhausener ja einen Tag vor uns zuhause gewesen. Schlechtes Wetter auf dem Schwarzen Meer hatte ihnen allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und so gewannen wir das Rennen und trafen ungefähr eine Stunde vor ihnen in ihrer Heimatstadt ein. Genauso wie wir drei Wochen zuvor vor den Rot-Kreuz-Garagen gewartet hatten, so standen wir auch nun wieder da und warteten auf Emma, Elsa und den Rest der Truppe (und auf unsere dreckige Wäsche sowe die flüssigen Reiseandenken, die sie an Bord hatten). Es gibt halt doch keine Zufälle im Leben und außerdem trifft man sich immer zweimal!
Wir haben in diesen drei Wochen viel erlebt und manches ertragen. Wir haben Neues dazugelemt und sehen heute Dinge mit anderen Augen. Wir schätzen unsere Straßen und den geregelten Verkehrsablauf. Wir haben Gastfreundschaft genossen und erfahren, wie andere leben. Vieles ließe sich noch berichten, doch das würde den Rahmen sprengen (wie gesagt, es würde für ein Buch reichen). Aber das Wichtigste ist: wir sind Menschen begegnet, mit denen wir ein Stück Weg gegangen sind und wir durften das Gefühl haben, dass diese Menschen, über alle Grenzen und Unterschiede hinweg, unsere Freunde wurden. Und dafür lohnt sich jede noch so weite Reise!

Unser besonderer Dank gilt Claus Hieke, der durch seinen persönlichen Einsatz und gute Zusammenarbeit mit dem JRK diese Reise überhaupt erst ermöglichte.

Das Kloster Khor Virap - Ursprung des arm. Christentums (304 n. Chr.).
Meri bei der Untersuchung
Die Fähre über das Schwarze Meer
Wo wir auftauchen, sind wir schnell von Kindern umringt