Langzweitwirkungen Internationaler Begegnungen

Gibt es Langzeitwirkungen von Internationalen Begegnungen, die nur bis zu vier Wochen gedauert hatten und teilweise schon 10 Jahre zurück liegen? Dieser Frage sind Forscher der Universität Regensburg auf den Grund gegangen.

ugr
Oliver Spalt
3/2005

Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, in der Jugend mal ohne Eltern ins Ausland zu fahren oder an einer Internationalen Begegnung teilzunehmen: Angefangen vom Schüleraustausch, über kulturelle Jugendbegegnungen und Jugendgruppenaustausch bis hin zu Workcamps können sich interessierte Jugendliche gemäß ihrer Interessen aufmachen, neue Welten zu entdecken.
Doch hat eine Internationale Begegnung, die vielleicht nur zwei bis drei Wochen dauert, überhaupt einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen?
Die Universität Regensburg hat dazu eine Studie erstellt: Unter der Leitung von Prof. Thomas untersuchten die Psychologinnen Heike Abt und Celine Chang in Kooperation mit der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V., den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten
e.V., dem Deutschen Bundesjugendring e.V. und dem Bayerischen Jugendring von Dezember 2002 bis Juli 2005 die „Langzeitwirkung der Teilnahme an internationalen Jugendbegegnungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der TeilnehmerInnen“. Untersucht wurden hierbei vier unterschiedliche Programmformate:
1. Schüleraustausch 2. Jugendgruppenaustausch 3. Jugendkulturbegegnung 4. Multinationale Workcamps
Zu Beginn der Studie wurden nach einer Literaturrecherche und einigen Experteninterviews zunächst fast 100 ehemalige Teilnehmer/ innen einer Internationalen Begegnung im In- und Ausland interviewt. Auf der Basis dieser Interviews entstand ein Fragebogen, der von 532 ehemaligen Teilnehmer/innen in Deutschland beantwortet wurde. Die Ergebnisse dieser Erhebung wurden Anfang Juli in Berlin präsentiert.
Zunächst stellt sich die Frage nach dem Nutzen einer Internationalen Begegnung, wo doch heute schon beinahe jeder 14-jährige gemeinsam mit den Eltern die Welt bereist hat und aus der Sicht des „MiniGlobal-Traveller“ die globalisierte Welt zu verstehen glaubt. Doch nicht alle Kinder und Jugendlichen besitzen diese Möglichkeiten. Zudem werden gerade von diesen „Global Playern“ die kulturellen Unterschiede zwischen den Län
dern bestritten. Und tatsächlich: Die großen Hotels sind heute fast alle standardisiert, die Kleidung passt sich an das westliche Ideal an, die Speisen weisen immer weniger regionaltypische Besonderheiten auf und mit der Universalsprache Englisch kommt man heute fast durch die ganze Welt. Doch bei einer Internationalen Jugendbegegnung wird eben genau nicht diese immer gleiche Fassade bestaunt, die Jugendlichen blicken hinter die Kulissen und erleben eine neue Kultur. Selbstverständlich ist dort vieles anders, als man vorher erwartet hätte: Vorurteile müssen redigiert werden, kulturelle Unterschiede treten im Umgang miteinander, bei Essen, Sprache und im Leben allgemein auf, mit denen sich die Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen müssen. Doch gerade diese Erlebnisse, bei denen die Realität die Jugendlichen überrascht, da etwas Neues auf sie einströmt oder Vorurteile redigiert werden müssen, oder ein emotionales Erlebnis, das verarbeitet werden muss, diese sogenannten „Diskrepanzerlebnisse“ ermöglichen erst das interkulturelle Lernen und erweitern den Horizont. Und diese Diskrepanzerlebnisse erleben Kinder und Jugendliche bei einer Internationalen Begegnung zuhauf. Typische Auslöser waren bei der Untersuchung spezifische Programminhalte, erlebte Unterschiede (ökonomische, kulturelle), Situationen mit signifikanten Personen, Gastfreundschaft, Gruppengefühl und die Auseinandersetzung mit der Deutschen Geschichte, hierbei war vor allem auch die Beschäftigung mit der eigenen nationalen Identität für deutsche Teilnehmer/ innen im Vordergrund. Die Langzeitwirkungen waren beträchtlich, die Teilnehmer/innen konnten noch nach über zehn Jahren teilweise sehr detailliert über die Erlebnisse ihrer Austauscherfahrung berichten. Manche waren sehr erfreut, dass sich „endlich mal wieder jemand dafür interessiert, was sie alles erlebt hatten“. 71% der Befragten bezeichnen die Austauscherfahrung als für sie persönlich sehr wichtig bzw. wichtig. 51% schätzen den Austausch bedeutsamer ein als andere Auslandsaufenthalte. 57% fanden den Austausch wichtiger als andere Gruppenerlebnisse. 17 % gaben an, dass sich die Bedeutung der Erfahrung in den letzten Jahren noch erhöht hat. 75 % lehnen die Behauptung ab, der Austausch hätte keine Spuren in ihrer Biographie hinterlassen.
Ein besonderes Merkmal der Jugendgruppenbegegnung ist die Auseinandersetzung mit den erwähnten Diskrepanzerlebnissen. Durch die Gemeinschaft in der Jugendgruppe wird der Austausch sowohl sehr gut vor- als auch nachbereitet. Dadurch werden die neuen, teilweise auch schwierigen Erlebnisse besonders gut verarbeitet, ein Vorteil gegenüber anderen Programmformaten.
Wichtig bei der Betrachtung der Internationalen Jugendbegegnungen ist, dass diese nicht immer im Ausland stattfinden müssen. So ist ein Schüleraustausch
oder auch die Jugendgruppenbegegnung auf Gegenseitigkeit angelegt, eine Internationale Maßnahme kann also auch im Heimatland stattfinden. Hier ist für die inländischen Teilnehmer/innen die Möglichkeit Diskrepanzerlebnisse zu erfahren vor allem bei Erlebnissen innerhalb der Gruppe zu sehen. Die größere Anzahl an Diskrepanzerlebnissen stellt sich beim Auslandsaufenthalt, wenn Sprache, Kultur und Umgebung zusätzlich neu sind und verarbeitet werden müssen.
Die Studie der Uni Regensburg beweist die Notwendigkeit und Relevanz internationaler Begegnungen. Es ist wichtig, dass Jugendgruppen über den Tellerrand blicken und sich Partnergruppen im Ausland suchen oder zu Internationalen Begegnungen fahren. Nicht nur für die Gruppe, sondern für jeden Teilnehmer auch ganz persönlich.
Das Bayerische Jugendrotkreuz hat im Mai 2005 mit seinem „First International Youth Center“ eine multinationale Jugendbegegnung in München durchgeführt. Für alle Teilnehmer war dieses Internationale Zeltlager eine große Erfahrung, die in vielen Fällen das Leben der Teilnehmer auch noch in den nächsten Jahren, bewusst oder auch unbewusst, beeinflussen wird.