Unsere Rot-Kreuz-Grundsätze sind einmalig

"Unsere Rot Kreuz Grundsätze sind einmalig“ Leonore Freiin von Tucher. Geboren am 28. Februar 1916 in München als Tochter von Heinrich und Cäcilie von Tucher. Ehrenmitglied im Bayerischen Jugendrotkreuz und Vorsitzende der Leonore-von-Tucher-Stiftung.

Andrea Reischl
1/2006

baff: Sie feierten am 28. Februar ihren 90sten Geburtstag, da war doch sicherlich richtig viel los?

Na ja, das Telefon hat schon ständig geklingelt, 90 wird man schließlich nicht alle Tage. Aber am meisten habe ich mich über die Jugendrotkreuzler gefreut, die mir Blumen gebracht haben und ein Lied für mich gesungen haben. Schön war das.

Sie können auf eine lange Rot-Kreuz-Zeit zurückblicken. 20 Jahre waren Sie Vizepräsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes und sie sind heute noch aktiv in ihrer Stiftung.

Das stimmt. Ich war ja nur als Notlösung gedacht, dafür war es doch ganz schön lange und es hat mir sehr viel Freude gemacht und das macht es mir noch immer.

Was verbinden Sie mit dem Jugendrotkreuz während ihrer Amtzeit als Vizepräsidentin des BRK?

 

 

Das war schon lustig damals im Jugendrotkreuz! Ich fragte, ein Mitglied des Deutschen Jugendrotkreuzes, wie viele Enkelkinder muss man haben, um Mitglied im Jugendrotkreuz zu werden? Heute sind vorwiegend junge Leute im JRK. Das hat sich zum Glück gewandelt, das ist auch gut so, ein großer Fortschritt den ich in meiner Amtszeit stark unterstützt habe. Ich fand das Engagement der JRKler in Mazedonien sehr bemerkenswert. Nach dem schweren Erdbeben halfen sie den mazedonischen JRKlern beim Wiederaufbau.

baff: Sie sind Jahrgang 1916 und haben als Mädchen Abitur gemacht. Das war nicht üblich?

Ja, das stimmt. Ich war auch noch als einziges Mädchen an einer reinen Jungenschule, weil meine Eltern wollten, dass ich schon in der fünften Klasse Latein habe und es gab keine Mädchenschule in München, die das anbot.

Das war bestimmt ganz lustig, als einziges Mädchen?

Ja, wir waren eine richtig gute Klassengemeinschaft. Mit mir zusammen in der Klasse war auch Franz-Josef Strauß.

Der ehemalige Ministerpräsident von Bayern?

Ja genau, mit ihm habe ich zusammen Abitur gemacht. Er war immer der Beste von uns, ich dagegen war ganz normal. Nur im Erfinden von Ausreden, wenn ich mal wieder meine Hausaufgaben nicht gemacht habe oder sonst etwas angestellt habe, konnte mich niemand schlagen. Da war ich immer Klassenbeste.

Was haben Sie nach dem Abitur gemacht?

Da bin ich erstmal weit weg von zu Hause und nach Berlin gezogen. Ich habe mir eine Wohnung mit zwei gleichaltrigen Mädchen geteilt. Eine WG sozusagen. In Berlin habe ich eine Verlagsausbildung begonnen. Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber mein Vater war dagegen. Und dann habe ich es nicht gemacht, so war das damals.

Während der Nazi-Diktatur waren sie eine junge Frau. Nicht alle jungen Menschen in Deutschland sind der NS-Ideologie gefolgt, einige sind in den Widerstand gegangen, zum Beispiel Sophie Scholl oder Graf Stauffenberg. Kannten Sie jemand der im Widerstand war?

 

Ja, im Hinterhof unseres Wohnhauses in Berlin lebte in einer kleinen Wohnung, über der Garage, Helmuth James Graf von Moltke. Er gründete den Kreisauer Kreis, er half vielen Menschen zu fliehen und hatte Kontakte zu Widerstandsgruppen im Ausland. Meine Mitbewohnerin war ebenfalls in diesem Kreis aktiv. Für sie habe ich oft geheime Informationen an Freunde und Bekannte weitergegeben. So habe ich wenigstens indirekt Widerstand gegen Hitler geleistet.

Welche Lehren haben Sie für sich aus dieser schrecklichen Zeit gezogen?

Ich habe erlebt wie verbrecherisch eine Diktatur sein kann, das Menschenrechte nichts zählen. Meine Eltern haben mich sehr politisch erzogen und dazu meine Meinung immer offen zu sagen und dafür einzutreten. Genau das erwarte ich auch von den jungen Menschen heute und gerade von unseren jungen JRKlern.

Sie haben zugunsten des Jugendrotkreuzes die Leonore-vonTucher-Stiftung gegründet. Welche Projekte wollen sie mit der Stiftung unterstützen?

Damit sollen Projekte, wie das internationale Jugendcamp im letzten Jahr in München, gefördert werden, bei denen sich Jugendliche aus verschiedenen Kontinenten kennen lernen und Freundschaften schließen. Damit sie lernen frei und ohne Vorurteile aufeinander zu zugehen.

Was möchten Sie den Jugendrotkreuzlern mit auf den Weg geben?

Ich würde mich freuen, wenn unsere jungen Mitglieder nach unseren Rot-Kreuz-Grundsätzen leben, das gehört für mich zum Selbstverständnis jedes Zusammenlebens. Wünschenswert wäre es, wenn sie unsere Grundsätze in die Welt tragen und für die Einhaltung dieser Grundsätze eintreten, wo immer sie missachtet werden. Damit können wir viel erreichen.

Vielen Dank für das Interview und noch viele schöne Erlebnisse mit dem Bayerischen Jugendrotkreuz.

Graf von Moltke gründete die Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis und unterstützte den Attentatsplan von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler, das am 20. Juli 1944 missglückte. Graf von Moltke wurde daraufhin verhaftet und im Konzentrationslager Ravensbrück gefangen gehalten. Am 23. Januar 1945 wurde das, durch den Volksgerichtshof ergangene, Todesurteil „Tod durch den Strang“ in Berlin-Plötzensee vollstreckt.