Wie schmeckt der Regenbogen?

Ich bin mir fast sicher, Du weißt, wie ein Regenbogen aussieht. Du hast bestimmt auch schon mal einen gesehen. Ich bin mir auch fast sicher, dass Du nicht weißt, wie ein Regenbogen schmeckt, wie er sich anfühlt, anhört, wie er riecht.

Luisa Bätz
photocase.de/flügelfrei
3/2015

Doch stell Dir einmal vor, Du hättest noch nie einen Regenbogen gesehen. Nicht, weil Du Pech hattest, sondern, weil Du nicht sehen kannst, vielleicht noch nie sehen konntest, vielleicht nur früher einmal sehen konntest und Dich nicht mehr erinnern kannst. Könntest Du dann den Regenbogen fühlen, hören, riechen, schmecken? Vielleicht. Du könntest den Regen hören, die Sonnenstrahlen auf Deiner Haut fühlen, den Frühling riechen, die reine Luft schmecken. Deine übrigen Sinne wären schärfer, um Deine Augen zu ersetzen. Und jetzt stell Dir vor, nur, weil Du nicht sehen kannst, darfst Du nicht einfach so sein, wie Du bist. Du denkst und fühlst genau wie andere auch, Du willst spielen, lernen, lesen, Geld verdienen, einkaufen, wählen, verreisen, auf eigenen Beinen stehen. Du fühlst Dich nicht behindert, doch genau dieser Stempel wird Dir immer wieder aufgedrückt. „Behindert“. Du wirst vielleicht behindert von Anderen, weil Du nicht die gleichen Chancen bekommst. Technisch gesehen ist es möglich körperliche Einschränkungen, so wie mangelndes Sehvermögen auszugleichen, sodass jede Person ohne Einschränkungen und fremde Hilfe am alltäglichen Leben teilnehmen kann. Ampeln mit akustischen Signalen, Leitlinien auf Straßen und in öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen, Texterkennungs- und Vorlesesoftware, Braillezeilen (ist eine aus Punkten aufgebaute ertastbare Schrift) auf Computertastaturen, Brailledrucker, Hörfilme (Filme bei denen die Handlung erzählt wird) und Langstöcke. Die einzigen Barrieren, die sich technisch nicht beseitigen lassen, sind die in den Köpfen der Menschen. Mach Dir beim nächsten Mal doch einfach vorher Gedanken,  bevor Du Menschen als „behindert“ abstempelst, alle Menschen bestehen aus mehr als aus einer körperlichen Einschränkung. Ich bin mir sicher, auch Du hast welche. Oder kannst Du mit beiden Händen schreiben, ohne Brille sehen, einen Marathon laufen?