Jugendarbeit im Bayerischen Roten Kreuz

Über die Verzahnung der Jugendarbeit mit dem Erwachsenenverband:

Martin Gebhard
BJRK, Martin Gebhard, Michael Rummert
2/2015

Basierend auf dem Workshop „Einmal Rotkreuzler, immer Rotkreuzler“ beim landesweiten JRK-Gruppenleiterinnen- und Gruppenleiterforum im Oktober 2014. Jugendarbeit gehört zu den Aufgaben, die in der BRK-Satzung festgeschrieben sind. Das Jugendrotkreuz hat sich ihr komplett verschrieben, die Bereitschaften und die Wasserwacht unternehmen neben ihren Aufgaben im Erwachsenenverband zum Teil erhebliche Anstrengungen, um Jugendarbeit zu betreiben. In Gesprächen mit verantwortlichen Jugendleiterinnen und Jugendleitern bzw. anderen Leitungskräften wird oft beklagt, dass der Aufwand für die Jugendarbeit enorm ist. Dem steht ein als gering empfundener Ertrag hinsichtlich der Überführungsquote von Jugendlichen in den Erwachsenenverband gegenüber. Empfunden deshalb, weil es zu den tatsächlichen Quoten keinerlei Erhebungen gibt. Erfahrungswerte aus den letzten 20 Jahren Ausbildung von Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern einerseits und aktiver Wasserwachtarbeit in Leitungsfunktionen andererseits lassen folgendes Szenario realistisch erscheinen: Von 20 Kindern, die mit 10 Jahren ins BRK eintreten, bleiben bei guter bis sehr guter Jugendarbeit zwei bis drei auch dem Erwachsenenverband erhalten. Höhere Quoten sind in besonderen Einzelfällen möglich: Nämlich dann, wenn zu optimalen Rahmenbedingungen (kontinuierliche und qualitativ hochwertige Gruppenleitung, gute räumliche Unterbringung, keine Finanzierungssorgen, usw.) eine in menschlicher Hinsicht hervorragend zusammenpassende Gruppe Kinder und Jugendlicher kommt. Geringere Quoten bis hin zu keinem einzigen Übertritt sind allerdings ebenso realistisch und dürften der Grund für den gefühlt geringen Ertrag sein. Dass diese mühevolle Arbeit auch im Fall keiner einzigen Überführung in den Erwachsenenverband wichtig ist und zur Verbreitung des Rotkreuz-Gedankens in der Bevölkerung beiträgt und damit eine ebenso wichtige satzungsgemäße Aufgabe erfüllt, steht außer Frage, soll jedoch hier nicht weiter erörtert werden. Im Kern steht vielmehr die Frage, mithilfe welcher Maßnahmen sich die Übertrittsquoten verbessern lassen. Die Frage führt unmittelbar zu einer weiteren, nämlich zu der nach den Gründen für das Wegbrechen so vieler Jugendlicher. Generell ist festzuhalten, dass der Zeitraum vom Kind zum jungen Erwachsenen alle Phasen der persönlichen Entwicklung überspannt, einschließlich ihrer Unwägbarkeiten. Charakterliche,
intellektuelle und körperliche Eigenschaften prägen sich aus und ergeben in ihrer Summe den erwachsenen Menschen. Nicht zu unterschätzen ist dabei, dass sich Interessen verändern: Der junge Mensch lernt Neues kennen und probiert sich aus. Folgerichtig bilden sich Interessen zurück, während andere neu entstehen. Hinzu kommen äußere Einflüsse: Schulische Entwicklungen ebenso wie neue Freundschaften. Auch sie wirken auf die Interessen Heranwachsender ein. Für den Verband interessanter weil unmittelbar zu beeinflussen, ist ein anderer Faktor, nämlich die Kompetenz der jeweiligen Leitungskräfte. Stichprobenartige Umfragen ergeben ein ambivalentes Bild: Im Erwachsenenverband geht hohes zeitliches
Engagement einher mit fachlich unzureichender Kompetenz im Hinblick auf die Bedürfnisse Heranwachsender. Hier scheint ein Schlüssel zur Lösung des Problems zu liegen. Nach Meinung vieler Gruppen- und Jugendleitungen geht der Erwachsenenverband nicht ausreichend oder gar nicht auf die Bedürfnisse Heranwachsender ein. Das beginnt bei den festgelegten Zeiten für Aktiventreffen und Ausbildungsmaßnahmen, führt über fehlende Perspektiven für Jugendliche bis hin zu offensichtlichem Desinteresse von Leitungskräften aus dem Erwachsenenverband. Oftmals scheint der Erwachsenenverband für Jugendliche also unattraktiv zu sein. Wie können wir das ändern? Eine mögliche Lösung liegt in der Schaffung einer Überleitungskultur, die von den Leitungskräften des Erwachsenenverbandes kultiviert und von den Gruppenleitungen mitgestaltet wird. Drei Faktoren müssen in dieser Überleitungskultur zusammenwirken und gleichermaßen gewürdigt werden:

1. Aufgabe

Heranwachsende sind nicht nur persönlich auf Sinnsuche. Auch in ihren Tätigkeiten suchen sie nach Sinnhaftigkeit. Zudem muss für sie ein klares Ziel erkennbar sein. Wichtig hierbei ist, dass das Ziel ein subjektiv erfahrbares ist. Es geht also darum, dass
der Heranwachsende das Ziel als solches erkennt und akzeptiert, nicht darum, dass es ihm vorgegeben wird. Ebenso wichtig ist die Perspektive einer Karriere innerhalb des Verbandes. Der Begriff Karriere beinhaltet dabei nicht in erster Linie Ämter und
Funktionen. Vielmehr geht es darum, Möglichkeiten und Chancen aufzuzeigen, beispielsweise durch Ausbildung. Und schließlich spielt Anerkennung eine entscheidende Rolle. Anerkennung wird in den Gemeinschaften viel zu selten als das eingesetzt,
was es eigentlich ist, nämlich ein hochwirksames Führungsinstrument. Dazu gehört der persönliche Dank für erledigte Aufgaben ebenso wie eine Ehrungskultur gemäß den geltenden Richtlinien.

Motivation

Leitungskräfte müssen in Heranwachsenden die nötige Motivation erzeugen und aufrecht erhalten. Einige Aspekte ähneln dabei denen der Aufgabe. Auch hier wollen Heranwachsende Wissen über mögliche Wege generieren. Dass das dieses Wissen
auch bei den Leitungskräften voraussetzt, versteht sich dabei von selbst. Gleiches gilt für die Anerkennung: Fehlende Anerkennung ist ein echter Motivationskiller. Damit ist nicht ein Loben nur um des Lobens willen gemeint. Aber generell neigen JRK-Leitungskräfte eher dazu, nicht Schimpfen als Lob zu verstehen – Heranwachsende stimmen hier schnell mit den Füßen ab und kommen nicht mehr. Vermutlich wichtigstes Element der Motivation ist jedoch der Spaß. Hobbys, die keinen Spaß machen, werden schnell aufgegeben. Dabei schließen sich Leistung und Spaß nicht aus, im Gegenteil. Guten Leitungskräften gelingt es zu vermitteln, dass durch Anstrengung erbrachte Leistungen Spaß machen.

3. Können

Junge Menschen engagieren sich im BRK auch deshalb, um einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Mitentscheidend sind dabei der Wunsch und die Möglichkeit, sein Können zu erweitern. Jugendliche und junge Erwachsene besuchen Kurse nicht, weil sie unsere Normen dazu verpflichten. Vielmehr wollen sie wissen und können. Ausbildung ist deshalb ein weiteres wirkungsvolles Führungsinstrument im BRK. Im BRK-Alltag steht oft Fachwissen im Vordergrund, doch das ist zu kurz gesprungen. Aus den Faktoren Aufgabe und Motivation ergibt sich, dass auch Verbandswissen kontinuierlich Gegenstand von Aus- und Weiterbildung sein muss. Dem vor Ort bisweilen ungeliebten Rotkreuz-Einführungsseminar (RKE) kommt also eine entscheidende Rolle zu. Es liegt im Interesse des Gesamtverbandes und jeder einzelnen Leitungskraft vor Ort, interessante und motivierende Einführungsseminare anzubieten. Damit ist es aber nicht getan. Zu den Grundinformationen des RKE gehört noch das Wissen über die örtlichen Rotkreuz-Aktivitäten sowie die überörtlichen Kenntnisse. Während das örtliche Wissen sich horizontal auf die unterschiedlichen Angebote des BRK vor Ort bezieht, ist beim überörtlichen Wissen die vertikale Perspektive ausschlaggebend: Wie sind andere Gruppen organisiert? Welche Aufgaben haben andere Gruppen? Wie beantworten andere Ortsgruppen Fragen, die sich auch in meiner eigenen Ortsgruppe oder meiner eigenen Bereitschaft stellen?

Die Faktoren Aufgabe, Motivation und Können beeinflussen und bedingen sich gegenseitig und bilden so das Wirkungsdreieck einer Überleitungskultur vom Jugend- in den Erwachsenenverband. Alle drei Faktoren sind für eine aktive Überleitungskultur
existenziell, besitzen aber in verschiedenen Phasen der Entwicklung der jungen Menschen unterschiedliches Gewicht. Die Aufgabe der verantwortlichen Vorsitzenden oder Leiter, Jugendleiter und Technischen oder Taktischen Leiter ist es, die jeweiligen
Erfordernisse zu erkennen und danach zu handeln. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Konkret bedeutet das, dass sich die Leitungskräfte aus dem Erwachsenenverband mit ebensolchem Engagement um ihre Heranwachsenden kümmern müssen, wie um ihre erwachsenen Mitglieder. Regelmäßige persönliche Gespräche sind genauso bedeutend wie die Beschäftigung mit den Fähigkeiten und Potenzialen jeder Einzelnen und jedes Einzelnen. Die gemeinsame Entwicklung von Karriereplänen gehört ebenso dazu wie die zielgerichtete Motivation Heranwachsender zu Ausbildungen. Denkbar sind darüber hinaus auch ganz praktische und organisatorische Dinge, wie das Anpassen von Uhrzeiten bei Gemeinschaftsmaßnahmen an die Bedürfnisse von Kindern- und Jugendlichen oder das regelmäßige Angebot gemeinsamer Veranstaltungen. Auch Patenschaften oder Mentoringprogramme zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen sind vorstellbar. Dabei tritt die behutsame Heranführung an die Aufgaben des Erwachsenenverbandes gleichberechtigt neben die persönliche Beratung der Jugendlichen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und facettenreich. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verzahnung der Jugendarbeit mit dem Erwachsenenverband eine Aufgabe aller Leitungskräfte vor Ort ist, nicht nur der Jugendleitungen. Wenn es dann noch gelingt, auch in der Erwachsenengruppe einen breiten Konsens über die zwingende Notwendigkeit der Verzahnung
herzustellen und diese mit einzubinden, wird sich eine Überleitungskultur entwickeln. Aber das wird nicht von alleine geschehen. Dafür benötigen wir Leitungskräfte, die einer Überleitungskultur den Weg ebenen und die es sich zur Aufgabe zu
machen, möglichst viele Jugendliche für den Erwachsenenverband zu gewinnen.

Martin Gebhard bildet seit 1994 Gruppenleitungen im BRK aus. Seit Juni 2013 ist er Vorsitzender der Wasserwacht Oberbayern. Michael Rummert ist stv. Vorsitzender des JRK Oberbayern. Seit 2002 bildet er Gruppenleitungen im BRK aus, leitet das Lehrteam Oberbayern seit 2009 und seit Juni 2013 ist er außerdem Beauftragter für die Qualität in der Ausbildung in der Wasserwacht Oberbayern.