Okkultismus

Was sind die Gründe für eine derartige Schwemme moderner "Kultformen"?

 

Sabine Reuß
1/1988

Man könnte doch meinen, solche

"Spinnereien" passen nicht in unsere

Zeit, in der doch alles rationalistisch

betrachtet wird. Vielleicht ist aber auch

dies ein Grund dafür... Irgendwann einmal

hat man erkannt, daß die Technik

vielleicht doch nicht ganz zum Heil

schlechthin führt; hier und da tauchen

immer größere Unstimmigkeiten und

Fehler auf. Am Ende allen Fortschritts

steht man dann vor großen Fragezeichen:

Wo kommt denn jetzt plötzlich

diese Umweltverschmutzung her? Der

Rüstungswettlauf? Und die Angst vor

einer Atomkatastrophe und der Seuche

AIDS? Die allgemeine Orientierungslosigkeit,

die sich breitgemacht hat und

die auch in Wissenschaft und Religion

zu finden ist?

Wegen dieser Ratlosigkeit - auf dem

Hintergrund von rein äußerlichen Werten,

dem Anspruch auf Machbarkeit und

einkalkulierbaren Bedürfnisbefriedigungen

- bricht allmählich die Sehnsucht

nach einer Wiederverzauberung der Welt

empor, nach Phantasie und nach übersinnlichen

Werten; das Bedürfnis nach

Optimismus und Beantwortung der Sinnfrage

dringt in den Vordergrund.

Gerade zu diesem Zeitpunkt tritt die

Strömung des "New Age" auf, die Optimismus

verbreitet, indem sie anstelle

der Weltuntergangsstimmung die Ankündigung

der großen bevorstehenden "Wendezeit"

setzt. Es handelt sich dabei um

eine soziale Bewegung, die ungewöhnliche

Denkmodelle hervorbringt, um die

Welt wieder zu bereinigen. Die sogenannte

"Postmoderne" - eine "Fortsetzung"

des "New Age" - besteht hingegen

nur noch aus einer verschwommenen

Masse "neuer Innerlichkeit", dem

Versteckspiel vor tatsächlichen Wirklichkeiten,

Aberglauben, einer Einlullung

von seltsamen Phänomenen, dem Trend

zu narzißtischer Selbstbeweihräucherung

und einer Verbindung aus deplazierten

östlichen Religionen und Wiedergeburtsglauben.

Manche sind auf der Suche

nach einer großen Weltreligion für das

kommende Zeitalter, in dem alle Strömungen

zu einer Einheit verschmelzen

und so gemeinsam das Heil erstreben.

Ein Weg zu diesem Ziel scheinen okkulte

und spiritistische Techniken zu

sein, wie "telepathischer Kontakt mit

den Engelreichen", verschiedene Meditationsformen,

oder - allgemein formuliert

- Techniken eines "Hinausgehens"

über die geistigen und körperlichen Beschränkungen,

hin zu einer neuen Wirklichkeitsebene.

Okkultismus

Der Begriff "Okkultismus" stammt

von "occultus" (lat.) und bedeutet "geheim",

"unsichtbar" und "verborgen". Er

ist eine Sammelbezeichnung für sämtliche

Phänomene, die bei Astrologie, Magie

und Spiritismus vorkommen und die

mit den herkömmlichen wissenschaftlichen

Methoden nicht erklärbar sind.

Die Vorgänge des Okkultismus reichen

von der Skala des Aberglaubens bis

hin zu den Ritualen der schwarzen und

weißen Magie. Einige Markierungspunkte

sind Pendeln, Handlesekunst, Kartenlegerei,

Liebes-, Haß- und Todeszauber,

Forschen im Kaffeesatz, Wünschelrutengehen

und Suggestion. Der Okkultismus

kann sich auch in mystischen Meditationen

äußern, die in Entrückungen,

Trancezuständen und Levitation (freies

Schweben im Raum) gipfeln. Eine andere

Form der Zauberei, die die Grenzen

zur schwarzen Magie hin überschreitet,

ist die Satansverehrung oder Satanologie

mit ihren verschiedenen Zeremonien.

Sonderform: Der Spiritismus

Der Spiritismus ist die Lehre von

dem Verkehr mit Verstorbenen, die sich

angeblich vorübergehend in ein Medium

(ein für Übersinnliches empfänglicher

Mensch) reinkarnieren und ihm Botschaften

vermitteln. Der Spiritismus

will damit nachweisen, dass man nach

dem Tode eines Menschen weiterhin mit

seiner Seele in Verbindung bleiben kann.

Der moderne Spiritismus hat Mitte des

19. Jahrhunderts in Amerika seinen Ursprung

gefunden, als man bei den

Schwestern Fox, Töchtern eines Farmers

aus New York, 1847 häufig laut

auftretende, unerklärliche Klopflaute

bemerkte. Diese Geräusche schienen

von einem intelligenten Wesen zu stammen,

das die Kinder "Mr. Splifoot"

nannten. Wenn man einen bestimmten

Code anwandte, konnte man sich sogar

mit ihm unterhalten.

Seitdem hat die Parapsychologie eine

Menge Nachforschungen über derartige

Phänomene begonnen, die in Form von

spiritistischen Sitzungen, sogenannten

Seancen durchgeführt werden. Daraus

haben sich sämtliche Richtungen und

Techniken entwickelt, mit denen man

versuchte, mit Verstorbenen Kontakt

aufzunehmen.

Der Spiritismus hat sich bereits zur

größten pseudoreligiösen Sekte entwickelt,

der sich etwa 500 000 Leute verschrieben

haben.

Methoden

 

Eine sehr beliebte Methode des Spiritismus

 

ist das Tischrücken. Dabei bildet

 

ein Kreis von Leuten mit gespreizten

 

Fingern eine Kette und hält die

 

Hände über einen Tisch. Dann stellt

 

man dem "Geist" Fragen. Man ruft ihm

 

die Buchstaben des Alphabets zu, und

 

beim richtigen Buchstaben bewegt sich

 

der Tisch. Das kann lange dauern, aber

 

auf diese Art kommen ganze Sätze zum

 

Vorschein.

 

Eine andere Variante des "Do-ityourself-

 

Spiritismus" stellt das sogenannte

 

"Ouija-Brett" dar, ein meist auf

 

Karton oder Holz geklebtes Blatt Papier,

 

auf dem im Halbkreis die Buchstaben

 

des Alphabets sowie eine Zahlenfolge

 

stehen. In die Mitte wird ein umgestülptes

 

Glas gestellt, auf dessen Boden

 

die Anwesenden leicht die Fingerspitzen

 

legen, wobei sie darauf achten, dass keiner das Glas bewusst verschieben kann.

 

Diesmal stellt man dem "Geist" wieder

 

Fragen und das Glas bewegt sich auf

 

dem Alphabet zwischen den einzelnen

 

Buchstaben hin und her und bildet dadurch

 

Antworten.

 

Man kann den "Geist" auch selbst

 

schreiben lassen - mit Hilfe der sogenannten

 

Planchette. Es handelt sich um

 

einen kleinen Karton, der entweder verschiebbar

 

ist, oder an dem kleine Rollen

 

angebracht sind. In der Mitte ist ein

 

Stift so befestigt, dass er abfärbt, wenn

 

sich der Karton über das Blatt Papier

 

bewegt, das unter ihm liegt. Das Medium

 

und die Anwesenden legen wiederum

 

die Fingerspitzen leicht auf den

 

Karton, und keiner kann erkennen, was

 

geschrieben wird.

 

Der "Geist" kann sich auch auf eine

 

andere Weise schriftlich mitteilen, nämlich

 

mit dem "Automatischen Schreiben"

 

durch das Medium selbst. Das bedeutet,

 

dass entsprechend begabte Menschen

 

automatisch, also ohne das bewusste

 

Eingreifen ihres Willens, zu

 

schreiben beginnen. Es kann der Eindruck

 

erweckt werden, dass das Medium

 

vorübergehend von einem fremden

 

"Geist" besessen sei - denn Körperhaltung

 

und Schrift sind dabei völlig verändert.

 

Ein ähnliches, noch merkwürdigeres

 

Phänomen ist das "Automatische Sprechen",

 

auch Glossolalie oder Xenoglossie

 

genannt. Man spricht von dieser okkulten

 

Form des Zungenredens, wenn das

 

Medium durch eine ihm fremde, völlig

 

veränderte Stimme in anderen Sprachen

 

redet. Die Person, in die sich der

 

"Geist" reinkarniert hat, erwacht - wie

 

bei anderen spiritistischen Tätigkeiten

 

auch - ohne Erinnerung an das, was sich

 

in Trance abgespielt hat.

 

Auf den Inhalt der Botschaften haben

 

die Beteiligten insofern keinen Einfluß,

 

als man nicht genau erkennt, auf welchem

 

Weg diese Botschaften zustande

 

gekommen sind - denn Gläser, Tische

 

und Kartons haben sich anscheinend von

 

selbst bewegt. Das Typische dabei ist

 

der Eindruck des Zwanges und des

 

Fremden, den die Mitteilungen durch

 

Form und Inhalt machen. Durch eine

 

weitere Tatsache wird dieser Eindruck

 

noch verstärkt: Die Botschaften erfolgen

 

meist im Namen fremder Persönlichkeiten,

 

namentlich Verstorbenen, deren

 

individuelle Ausdrucksformen dabei

 

höchst charakteristisch sind.

 

Beispiele

Viele dieser "Botschaften aus dem

Jenseits" wurden ganz genau überprüft:

Sie nannten völlig richtige Namen und

Adressen von Leuten, die vor kurzem

gestorben und oft niemandem in der

Gruppe bekannt waren.

Ein Beispiel sind die Zeitungsberichte,

in denen die spiritistische Sitzung

einiger Jugendlicher in Blackpool beschrieben

wurde. Die Jungen hielten die

Seance im Keller einer Schule ab, die in

einem Stadtteil lag, der in der Vergangenheit

Tatort mehrerer Morde war.

Mit Hilfe des Ouija-Brettes empfingen

sie die Botschaft einer Frau, die 1845

von einem Mann namens Mercer ermordet

worden war. Als die Jungen einen

Beweis für ihre Gegenwart verlangten,

begann die Temperatur im Raum zu fallen.

Einige bekamen es mit der Angst

zu tun, und die Sitzung wurde abgebrochen.

Etwas noch Erstaunlicheres trug sich

an dem Tag zu, als die "Lusitania" sank.

Die Teilnehmer einer Sitzung hatten

zwar vom Untergang des Schiffes gehört,

wussten aber nicht, dass ein persönlicher

Freund, Hugh Lane, an Bord

gewesen war. Sie erfuhren nun durch

die Seance davon, und sogar Hugh Lane

selbst meldete sich und beschrieb die

letzten zehn Minuten vor seinem Ertrinken.

Wenig später fanden seine

Freunde seinen Namen in der Abendzeitung

auf der Liste der ums Leben gekommenen

Passagiere.

Ein Beispiel für Tischrücken liefert

Fanny Moser, die ursprünglich nicht an

Außersinnliches glaubte, aber interessehalber

1913 an einer Seance in Berlin

teilnahm. Dieses Ereignis schlug wie eine

Bombe bei ihr ein und veranlasste

sie, sich in ihrem weiteren Leben eingehend

mit außergewöhnlichen Phänomenen

zu beschäftigen und ein tausendseitiges

Werk über Okkultismus zu schreiben.

Bei ihrem Erlebnis handelte es sich

um eine Sitzung mit einer berühmten

 

Spiritistin, die unter ihrer Mediumschaft

ren etwas wissen), das er - wiederum

 

unbewusst - an die Beteiligten weitergibt.

 

Auf diesem Weg kommt durch die

 

Kraft des menschlichen Körpers auf die

 

Materie - also durch eine Art Muskelzucken

 

oder ähnliches - die Bewegung

 

der Gläser, Planchetten oder Tische zustande,

 

die zu den Botschaften führt.

 

Xenoglossie (automatisches Sprechen)

 

als telepathisches Wunder beweist, dass

 

es - besonders auch auf der Schwelle

 

des Todes wie bei Hugh Lane - eine direkte

 

Verbindung von Seele zu Seele geben

 

kann.

 

Man kann zu dem Schluss kommen,

 

dass wir in ununterbrochenem Kontakt

 

mit dem psychischen Kosmos und dem

 

seelischen Universum stehen, das selbst

 

ganze Völker und Kulturen in Vergangenheit

 

und Zukunft miteinander verbindet.

 

 

Zu Bewusstsein kommt allerdings

nur das Allerwenigste - bei den meisten

 

nie und bei manchen wie zufällig hergewehte

 

Splitter, die man nicht in die

 

materielle Welt einzuordnen vermag. Es

 

würde außerdem wohl kaum ein Mensch

 

ertragen, über all die Dinge, die sich im

 

Lauf seines Lebens - oder auch schon

 

vor der Geburt? - angesammelt haben,

 

und über all die Kräfte und Geheimnisse

 

des Unterbewußtseins in vollem Umfang

 

Bescheid zu wissen.

 

 

 

 

Zusammenfassung

Motorische Autamismen - die Phänomene,

bei denen es sich um automatisch

auftretende Bewegungen handelt - sind

nur einige Methoden des Spiritismus, die

ich hier am Beispiel einiger besonders

auffälliger Personen und Medien dargestellt

habe. Man kann also kaum an den

Möglichkeiten zweifeln, die der Tiefe

der Seele mit ihrer unvorstellbaren

Macht, ihrer geistigen und materiellen

Ausdrucksform zugrunde liegen. Jedoch

sind, wie bereits erwähnt, viele dieser

Erscheinungen auf Betrug oder Selbsttäuschung

zurückzuführen. Allerdings

bleibt immer ein kleiner Rest von Rätsel.

Der Spiritismus bleibt somit zu einem

kleinen Teil völlig ungeklärt; zum

Großteil ist er jedoch auf eine Tiefgründigkeit

der Seele und des Unterbewusstseins

zurückzuführen, was den meisten

Leuten nicht bewußt ist, die sich

an Seancen beteiligen - Sitzungen, die

sich mit der "neuen Welle" des "New

Age" wie ein Lauffeuer verbreiten, be-

, sonders unter Jugendlichen, und "in"

werden - und die auch im Hinblick auf

neurotische Störungen und Wahnvorstellungen,

gefährlich werden können.

Ich möchte mit meinem Artikel weder

irgendjemandem Angst einjagen,

noch dazu raten, etwas selbst auszuprobieren

- es bringt absolut nichts, im

Gegenteil! Ich möchte nur Information

vermitteln über eine neue "Religion"

(wobei "neu" relativ ist: Zu allen Zeiten

der Geschichte hat es ähnliche Strömungen

gegeben), die diese Werte des

Übersinnlichen in extremen Maße verkörpert

und die mit dem Spiritismus eine

ungeheure Faszination ausübt. Das

geht sogar so weit, daß selbst der Konsummarkt

mit seinen "Esoterik-Angeboten"

Gebrauch von dieser "neuen Welle"

macht, indem er weismachen will, dass

man mit spirituellen Techniken Glück

und Erfolg herbeizaubern kann. Man

sollte sich dabei lieber auf die eigenen

Gefühle und den eigenen Verstand verlassen

- es gibt keine Anleitung zum

Glücklichsein, geschweige denn in dieser

Weise. Die Kraft des Menschen muss aus

dem Herzen kommen, und kann nicht

durch verschiedene Techniken erlernt

werden.

Es ist noch nicht abzusehen, ob diese

Bewegungen nur eine Modeerscheinung

sind, oder ob sie Einfluß auf unser ganzes

Weltbild nehmen werden. Bis jetzt

ist es nur eine Minderheit, die sich intensiv

mit dem Okkultismus beschäftigt.

Es ist jedoch notwendig, diese Erscheinung

ernst zu nehmen, die sogar Kinder

an sich zieht, denn die spiritistischen

Techniken funktionieren besser, als man

glaubt - und daß sie nicht nur als

scheinbar harmloser Aberglaube und

Humbug abgestempelt werden.

Wie jede andere Welle auch, besitzt

die "okkulte Invasion" sowohl ihre positiven

als auch negativen Seiten: Einerseits

erkennt man so die Wunder, die

der menschlichen Seele zu eigen sind,

und die unglaublichen Kräfte des Unterbewußtseins,

die den Menschen als Wunderwerk

der Schöpfung in einem ganz

neuen Licht zeigen. Man entdeckt, wie

viel hinter der materiellen Welt verborgen

ist, was man nie für möglich halten

würde. Andererseits steht gleich daneben

die Gefahr, die auftritt, wenn man

in tiefere Gebiete hinabdringt. Statt

sich lieber mit unseren menschlichen

und weltlichen Problemen zu beschäftigen,

flüchten die Anhänger des "New

Age" in eine Welt über uns - den Kosmos

- und eine Weit unter uns - ins Totenreich.

Es handelt sich dabei um die

äußersten Grenzen der Welt, um deren

Eigenheiten und Gefahren wir nicht Bescheid

wissen können.

Die "New Age"-Strömung ist kennzeichnend

für die Sehnsucht des Menschen

nach vollkommenem Glück und

Einheit; vielleicht ist sie auch in gewisser

Weise notwendig, um wieder aufzuhorchen

nach unsichtbaren, inneren

Werten. Es kann jedoch kein Zeitalter

und keine Generation die Wahrheit für

sich beanspruchen - trotz aller Fortschritte,

Erkenntnisse und Bewegungen,

bei denen man manchmal von einem

Extrem ins andere gefallen ist, bleibt

der eigentliche Sinn und die Verwirklichung

unseres Daseins ein Geheimnis.