Selbsterkenntnis

Anfang des Jahres 1974 beschloss eine Gruppe des KV München, sich auf wirkungsvolle Zusammenarbeit mit den Gehörlosen zu spezialisieren.

P. Trube
1/1975

Hier machte jedoch die Gruppe (bzw. Gruppenleitung) einen großen Fehler: Wir versäumten es, Richtlinien aufzustellen, die unseren Vorstellungen zur Arbeit entsprachen. So versuchten wir - leider nicht sehr erfolgreich - Kontakte zwischen uns und den Gehörlosen herzustellen. Dabei beachteten wir vorher jedoch nicht die Hemmungen, die auf beiden Seiten bestanden. So blieben auf den ersten Treffen die Barrieren zwischen den beiden Gruppen immer bestehen und hinterließen ein Gefühl der Enttäuschung. Im Laufe der Zeit besserte sich das Verhältnis zwar, entsprach aber längst nicht den Erwartungen. So führten wir mit den Gehörlosen einige Sportveranstaltungen (z.B. Fußball) durch, um auf diesem Weg bessere Verständnismöglichkeiten zu erreichen. Doch der Kontakt beschränkte sich eben nur auf den Moment der Veranstaltungen. Unserem Ziel kamen wir auf einer Hüttenfahrt mit den Gehörlosen am nächsten (für einen Augenblick zumindest) . An einem Abend begannen die Gehörlosen von sich aus Pantomimen darzustellen; d.h. sie gingen aus sich heraus und erkannten uns als Partner an. Daß wir diesen Zustand nicht erhalten konnten, lag daran, dass wir es vorher noch nicht verstanden hatten, das gegenseitige Verständnis zu wecken und aufzubauen. Das wesentlichste Ergebnis für uns war ein interner Arbeitsplan, den wir für einen erneuten und besser durchdachten Anfang erstellen und der ganz auf den Erfahrungen der wenig erfolgreichen Arbeit begründet ist. Danach wird sich die Gruppe erst intern auf die Arbeit und die damit verknüpften Schwierigkeiten vorbereiten, d.h. neben Informationen über die physischen Ursachen der Gehörlosigkeit werden wir uns mit den psychischen Problemen der Gehörlosen (z.B. Kontakte zur "Außenwelt") auseinandersetzen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei sicherlich auch die Überwindung der eigenen Hemmungen. Theoretisch müssen wir versuchen, diese Hemmungen zu begründen und genauer zu analysieren. Doch erst beim eigentlichen Kontakt werden wir die richtige Einstellung zu Behinderten lernen. Nach dieser Vorbereitung sollen dann schrittweise die Verbindungen zu den Gehörlosen weiter ausgebaut werden. Wir werden bei gemeinsamen Veranstaltungen eine Ausgangsbasis schaffen, die einen weiteren Schritt, nämlich den an die Öffentlichkeit, erlauben. Wir wollen die Gehörlosen aus dieser Isolation herausführen, die Ablehnung, die bei großen Teilen der Bevölkerung besteht, zu korrigieren und den Gehörlosen helfen, selbstbewusster aufzutreten und ihren Anspruch auf einen Platz innerhalb der Gesellschaft geltend zu machen.