Schüler und Lehrlinge

Oft, wenn, junge Leute sich treffen, gibt es Spannungen zwischen Lehrlingen und Schülern. Das ist natürlich eine verallgemeinernde Feststellung; es gibt bestimmt Jugendliche aus der Berufs- und Schulwelt, die sich ausgezeichnet verstehen. Aber irgendeinmal stößt jeder sicher auf diese Spannungen, sei es in einer Diskussion über Theorie und Weltanschauungen, wo viele Lehrlinge kaum ein Wort mitreden oder auf einem Gesellschaftsabend, wo man­ cher Schüler erst gar nicht erscheint, weil er sich zu "gut" wähnt.

Traudl Maier
3/1973

Zu diesem Problem habe ich einige Lehr­linge befragt, weil ich selber Schüle­rin bin und auch nur von meiner Warte mein Urteil abgeben kann. Manche bezeichneten die Schüler als überheblich und intolerant ; "Ich habe es aufgegeben, mit ihnen Verbindungen anzuknüpfen. Sie sind zwar oft nicht intelli - genter, haben aber mehr Wissen ver­ mittelt bekommen als wir Lehrlinge, Viele Schüler lassen es sich anmerken, etwas besseres zu sein, nur weil sie von ihren Eltern bzw. Lehrern eine Chance zur "Weiterbildung erhalten ha­ ben. Außerdem finde ich es unfair und eigentlich herabsetzend, daß vor allem die in irgendwelchen Jugendorganisationen aktiven Schüler versuchen, einem anderen ihre eigene Meinung oder auch ihr Wissen aufzudrängen, ohne ihn aber als Mensch gelten zu lassen und zu fördern. Wenn ich ein Hobby habe, dem ich meine ganze Freizeit widme, muß ich mich doch abgewertet fühlen, wenn mir jemand neue Interessen anerziehen will. "Bewußtseinsbildung" jagut und schön - aber nicht unter dem Druck eines redegewandten Schülers. Und wenn ich mich weiterbilden will, so lasse ich mich nicht von jedem Nächstbesten informieren, sondern nur von einem, von dem ich mich verstanden fühle, vor dem ich mich nicht-zu schämen brauche, wenn ich Fragen stelle. Es kommt dabei ganz auf den einzelnen bzw. auf die Gruppe an!" Solche Peststellungen - vielleicht auch manchmal Vorurteile - gibt es natürlich auch in Schülerkreisen. Man verurteilt einen Lehrling wegen seiner Verschlossenheit, eventuell wegen sei­ ner Passivität oder seiner materiellen Ans chauungen. Vielleicht geht es Ihnen auch so, aber ich versuche eigentlich automatisch immer, meine eigenen Fähigkeiten mög­ lichst anzubringen, um Aufnahme und Anerkennung in einer Gruppe zu finden. Diese Fähigkeiten und Bedürfnisse se­ hen in der Berufswelt ganz anders aus als in der Schule. Ich kann mir gut vorstellen, daß ein Lehrling, der den ganzen Tag vielleicht in der Produktion tätig ist, in seiner Freizeit in erster Linie Entspannung und Unterhaltung braucht. Er wird Kontakte suchen, Gemeinschaften, in denen getanzt wird oder Spiele veranstaltet werden, wo er seine sportlichen und schöpferischen Fähigkeiten entfalten kann, weil er tagsüber doch mehr oder weniger allein seiner Arbeit gegenüber steht. Außerdem verdient er Geld, er steht als Verbraucher mitten in unserem Wirtschaftssystem mit samt seines Konsum­zwanges. Er hat dann auch Interesse und Gesprächsstoff durch Dinge, die er sich mit diesem Geld erwerben kann, Dinge wie Mode, Autos usw. Ein Schüler hingegen hat durch seine Informationen und die Erziehung, die er durch die Schule bekommt, mehr das Bedürfnis, Theorien auszutauschen, zu diskutieren. Er hat es gelernt, auch vor einer Gruppe zu sagen, was er sich denkt. Kein Wunder also, wenn es durch die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse zu Reibereien zwischen Schü­lern und Lehrlingen kommt. Dabei sind echte Meinungsverschiedenheiten durch­ aus positiv auszulegen. Es kann nie schaden, sich mit den Ansichten eines anderen auseinandersetzen zu müssen. Hur glaube ich, daß man seinen Gesprächspartner dann eben auch annehmen und ihm zuhören muß. Ein Lehrling, der von einem jüngeren Schüler "belehrt" wird, nach den eigenen Vorstellungen zu denken und zu handeln, kann seine eigene Position vielleicht deshalb nicht so gut verteidigen, weil er zu reden und zu argumentieren so nicht gelernt hat. Wer soll da schon keine Komplexe bekommen, gehemmt werden, das Gefühl haben, nichts zu gelten' ? Vielleicht- wird er sich dann zurückziehez - in eine Umwelt, in der er die notwendige Anerkennung findet. Meiner Meinung nach'können wir eine Menge voneinander lernen. Mir als Schüler kann es nur von Nutzen sein, etwas über die Praxis eines Lehrverhältnisses zu hören; ein Lehrling kann sich vielleicht von der Schülern etwas Mut zur Meinungsäußerung aneignen. Darin liegt eine Chance: Wenn wir schon unsere Freizeit zusammen verbringen, sollten wir uns auch wirklich tolerieren, verstehen und ohne Zwang gegenseitig fördern.