Das bIld zeigt eine Gruppe von 4 Jugendlichen in auffällig bunter Kleidung.

Jugend Gestern und Heute

Über die Vergangenheit zu sprechen ist immer schwierig. Denn der Blick zurück ist, wie der auf die Gegenwart, niemals objektiv.

Bernhard Heinzelmaier
1/2022

Immer fließen in Erinnerungen und Wahrnehmungen auch Ideologien ein. Wir sehen also die Vergangenheit sowie unsere Gegenwart durch die Brille von Welterklärungsmustern, die uns anerzogen wurden.

Soziologie und Geschichtswissenschaft versuchen, die Wirklichkeit „objektiv“ in den Blick zu bekommen und scheitern immer wieder daran. Aus diesem Grund ist es wichtig, Vergangenheits- und Gegenwartsnarrativen niemals ganz zu trauen. Am nächsten kommt man der „Wahrheit“, wenn man unterschiedliche Zeitbetrachtungen zum selben Thema  vergleichend nebeneinanderstellt.

Dennoch gibt es Narrative, die von einem breiten Konsens getragen werden. So zum Beispiel die Erkenntnis, dass in der Nachkriegszeit die Jugendlichen in einem höheren Ausmaß konformistisch waren. Weniger als heute versuchte der Einzelne, sich von der Masse abzuheben. Für die große Mehrheit galt es als Tugend, im Strom der Allgemeinheit mitzuschwimmen.

Selbst das Aufbegehren der 1968er-Bewegung war die Angelegenheit einer kleinen akademischen Minderheit, deren Lifestyle auch recht gleichförmig war. Sie dachte primär politisch und hatte es sich zum Ziel gesetzt, mehr Gleichheit zu erkämpfen und dadurch die Gesellschaft gerechter zu machen. Den überwiegenden Teil der Gleichaltrigen ließ dieser Kampf völlig unberührt. Ihnen ging es um die Teilhabe an der neuen Pop-Kultur, die vor allem aus den angelsächsischen Ländern nach Deutschland kam. Wollten die einen politisieren, so ging es den anderen ums Konsumieren.

(i) 1968er-Bewegung

Viele junge Menschen, vor allem Student:innen, waren Ende der 60er Jahre nicht mit den Vorstellungen ihrer Eltern und der damaligen Politik einverstanden. Mit Demonstrationen machten sie sich für ihre Meinung stark, protestierten gegen den Krieg und strenge Regeln und versuchten durch ihr Aussehen aufzufallen.

Der Jugendkonsum wird seit den 1960er Jahren von einer immer breiter und vielfältiger werdenden Medienpalette angeheizt. Gab es in den 1960er Jahren außer ARD, ZDF und den Regionalprogrammen keine weiteren TV-Anbieter, so sind heute über Kabel und Satellit hunderte Fernsehprogramme verfügbar, die überwiegend aus Unterhaltung und Werbung bestehen. Hinzu kommt eine Fülle von digitalen Angeboten, die das Internet täglich ins Haus liefert.

Das Übermaß an digitalen Bildschirmangeboten hat die Wahrnehmungsweise von jungen Menschen tiefgreifend verändert. Dominierte früher der Wahrnehmungsmodus der Deep Attention die Jugendkulturen – langanhaltendes konzentriertes Aufnehmen von wenigen ausgewählten Informationen –, so tritt heute immer stärker der Modus der Hyper Attention in den Vordergrund. Dieser steht für das Absorbieren von vielen kurzen Informationshappen, die allesamt nur oberflächlich aufgenommen werden.

(i) Hyper Attention und Deep Attention

Hyper Attention bzw. Hyperaufmerksamkeit ist eine Form der Aufmerksamkeit, die sich gleichzeitig auf mehrere Ziele richtet bzw. schnell zwischen ihnen hin- und herwechselt, und dabei der Deep Attention gegenübersteht, also der ausdauernden Beschäftigung mit einem einzigen Gegenstand. Deep Attention bezeichnet die Fähigkeit, sich lange auf eine einzige Tätigkeit oder auf ein einziges Medium zu konzentrieren und dabei Reize, die von Außen kommen, zu ignorieren. (Quelle: Stangl 2022)

Zusammenfassend kann man sagen: Die Jugendkultur unserer Zeit ist individualistischer, kommerzieller, bunter und verrückter geworden als die der 1960er Jahre. Und die ganze Szenerie zeigt sich spontaner, abwechslungsreicher, oberflächlicher und unpolitischer. Es ist der Zauber der Oberfläche, der die modernen Jugendlichen und ihre Kulturen überwiegend beschäftigt.

Der Autor: Bernhard Heinzelmaier

Bernhard Heinzlmaier ist seit über drei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 Vorsitzender. Hauptberuflich
leitet er das Marktforschungsunternehmen „tfactory Trendagentur“ in Hamburg.

Aktuelle Publikation:
„GENERATION CORONA“ Über das Erwachsenwerden in einer gespaltenen Gesellschaft

Berlin, 2021; Hinkost Verlag

Fotostudio Wilke
Bernhard Heinzlmaier

Institut für Jugendkulturforschung

Das im Jahr 2000 gegründete Institut für Jugendkulturforschung mit Sitz in Wien ist auf praxisorientierte nicht-kommerzielle Sozialforschung spezialisiert.

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