Gastarbeit - Gastarbeiter

Die folgende Anzeige erscheint in einigen Zeitschriften der Bundesrepublik. Sie soll auf das oft traurige Los jener Arbeiter aufmerksam machen, die sich durch sprachliche und kulturelle Barrieren dem deutsehen Volk nicht verständlich machen können (Oder wollen wir sie bloß nicht verstehen ?).

Bodo Meyner
2/1973

Ich meine, der Ausdruck "Gastarbeiter" ist nicht richtig. Denn wer würde seine "Gäste" schon derart behandeln , wie wir dies mit jenen tun? Ich plädiere für die Anwendung der offiziellen Bezeichnung "ausländische Arbeitnehmer", denn hier kommt der Grundsatz der Gleichbehandlung auch dieser Minderheit (rund 2,4 Millionen, = 10,6 % aller Arbeitnehmer, sind bei uns in Deutschland beschäftigt) am besten zum Ausdruck. Diese Arbeitnehmer kommen nicht allein, sondern bringen häufig auch ihre Familienangehörigen mit. Es müssen daher nicht nur angemessene Unterkünfte bereitgestellt, sondern auch familiengerechte Wohnungen, neue Schulklassen und Kindergartenplätze geschaffen werden. Die Bundesregierung hat am 6. Juni ein entsprechendes Aktionsprogramm verabschiedet, das sich mit diesen speziellen Problemen befaßt. Doch uns soll es vom JRK nicht so sehr um die allgemein hierin angeschnittenen Fragen gehen. Uns sollten vielmehr jene Fragen interessieren, bei denen wir tatkräftig mithelfen können, die Probleme - wenn auch nicht zu lösen, so doch den Umständen entsprechend zu mindern : ich meine hier ganz speziell die Kinder der ausländischen Arbeitnehmer. Vor sieben Jahren besuchten in Bayern 5.500 Kinder ausländischer Arbeitnehmer die Volksschulen, heute ist ihre Zahl fünfmal so groß. Im Schuljahr 1971/72 waren an bayerischen Volksschulen knapp 2 % aller Schüler aus Gastarbeiterländern. Das ist rechnerisch nicht viel. Aber das Problem, das in unserem Bildungssystem für Lehrer und Schulverwaltung durch den Zustrom nicht Deutsch sprechender Kinder entstanden ist, läßt sich nicht am zahlenmäßigen Umfang ermessen. Schon ein ausländisches Kind in einer Klasse mit 40 Schülern stellt den Lehrer stündlich vor neue Aufgaben:

ausländische Kinder insgesamt an Grund- und Hauptschulen in Bayern

Hier sollen nicht die schulischen Fragen aufgezeigt werden; mit diesen hat sich bereits die Kultusministerkonferenz. (KMK-Beschluß vom 3.12.71) befaßt. Welche Probleme bringt dieser deutsche Unterricht denn für die ausländischen Kinder mit sich?

Vielfach Ratlosigkeit und Frustration. Denn der ausländische Schüler kann dem Unterricht schlecht oder gar nicht folgen: nicht nur die Wörter, auch seine Denksprache ist anders. Er gibt sich keine Mühe mehr "mitzukommen", erreicht das Klassenziel nicht , ...muß Wiederholen. Der Schüler ist und bleibt ein Außenseiter in der Klasse:

 

Kinder ausl. Arbeitnehmer 1972 in Bayern an Grund- und Hauptschulen

Doch auch nach Beendigung des Unterrichtes kann der ausländische Schüler nicht froh sein: denn Hausaugaben müssen gemacht werden. Und wer macht die gerne, wenn er deren Sinn nicht erfaßt ? Und Spielen kommt nicht in Frage, denn die kleinen Geschwister müssen beaufsichtigt werden, da beide Eltern im Berufsleben stehen. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit sind etwa 43 % (!) der Gastarbeiterkinder 6 Jahre und jünger, 21% sind 7 - 11 Jahre, 16% sind 11 - 16 Jahre und 20% sind 17 - 21 Jahre alt. Hier bietet sich m.E. ein weites Betätigungsfeld des Jugendrotkreuzes an, das ja den Dienst an der Völkerverständigung als oberstes Gebot mit auf seine Fahnen geheftet hat.

Nicht bloß Faltschachteln und Schulkisten packen, nicht bloß Arbeitseinsätze in Griechenland (so wichtig dies auch sein mag!), sondern eigenes Tätigwerden eines jeden Mitgliedes des JRK ist hierzu erforderlich. Wie leicht fiel uns denn das Lösen der Hausaufgaben? Hier können wir - zusammen mit der Schulleitung und unserem Leiter der Schularbeit - einen Club bilden, der den ausländischen.Schülern Hilfestellung zur Lösung der Aufgaben gibt, der mit ihnen spricht und spielt, kurz: Anregungen gibt. Hier können wir in unseren Gruppen beweisen, wie tolerant wir eigentlich sind und auch "fremdländische" Jugendliche in unsere Reihen als vollwertig anerkannte Gruppenmitglieder aufnehmen, sie mit Aufgaben verantwortungsvoller Art betrauen.

Hier können wir den "Großen", die oft verächtlich auf die "heutige Jugend" blicken, zeigen, was Integration in Europa bedeutet, was es heißt, europäisch zu denken. Nur müssen wir einmal damit anfangen. Eher heute als morgen! Denn sonst bleiben auch wir, die Jugend, das, als was unsere Eltern - die "Deutschen" - im Ausland verschrieen sind: unfreundlich, hochnäsig, arrogant, eben "deutsch". Reißen wir die Barrieren der (eigenen und fremden !) Vorurteile nieder, blicken wir einmal über den engen Zaun vor unserem Hirn. Es gibt so viel zu tun. Also ran!