Eine graue Außenwand mit dem Schriftzug Grundschule

Zur Diskussion über den Ganztag an Grundschulen

So langsam, jedoch unaufhaltsam sicher, kommt er. Der Rechtsanspruch für Ganztagesbetreuung in der Grundschule. Ab dem Schuljahr 2026/2027 soll dieser für jedes Grundschulkind nach und nach Realität werden. Er tritt zum 1. August 2026 in Kraft. Und gilt zunächst für Grundschulkinder der ersten Klassenstufe und wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Damit hat ab dem 1. August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Diese umfasst eine Förderung von acht Zeitstunden täglich an fünf Tagen in der Woche. Die Unterrichtszeit wird auf diesen Anspruch angerechnet. Eine Pflicht, das Angebot wahrzunehmen, gibt es selbstverständlich nicht.

Warum gibt es das?

Nun, weil der Bedarf vorhanden ist. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei schulpflichtigen Kindern ist herausfordernd. Bereits jetzt nutzen etwa 41 % der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot. Dies kann der externe Hort sein, zu dem Kinder nach Schulschluss gehen. Oder aber z. B. das von Fördervereinen organisierte Mittagsangebot in Räumen in der Grundschule. Das Bundesfamilienministerium geht jedoch von einem deutlich höheren Bedarf von schätzungsweise 75 bis 80 Prozent aus. Diese Lücke soll nun geschlossen werden.

Bislang gibt es für Eltern einen Rechtsanspruch auf Betreuung in Kita/Kindergarten seit 2007. Mit dem Übertritt auf die Grundschule erlischt dieser Anspruch bisher - dies wird nun geändert.

Was hat das mit uns zu tun?

Kinder sind eben nicht nur Schülerinnen und Schüler. So wissen wir als Jugendverband, dass Lernen und Entwicklung von sozialen Kompetenzen nämlich nicht nur im Schulkontext, in Formen formalen Lernens, stattfindet. Sondern in großem Umfang in außerschulischen Formen, wie eben im Jugendrotkreuz - und beides geht nur zusammen und ergänzt sich. Wenn nun jedoch zunehmend Kinder in Schulgebäuden durch Träger von Angeboten betreut werden, stellt sich unweigerlich die Frage, wann und ob Kinder nach vielen Stunden des Unterrichts und des Ganztagsangebots noch Interesse und Zeit finden, Gruppenstunden des JRK zu besuchen.

Was benötigt wird?

Träger der non-formalen Bildung sind bislang in sehr unterschiedlicher Intensität und Weise in die Entwicklung und Gestaltung des Ganztages beteiligt: sie machen als Jugendverbände vereinzelte Angebote (z. B. ein Mal in der Woche Erste Hilfe-AG) oder sind sogar Koordinationsstelle aller Angebote an Schule. Die Realität der vielfältigen Zusammenarbeit mit Schule und im Ganztag ist, trotz gegenteiliger Forderungen, meist leider sehr schulisch geprägt: zum Teil dürfen die Schulgebäude aus Versicherungsgründen nicht verlassen werden. Alleine einen eigenen separaten Raum als Jugendverband für seine Mitglieder zu haben, wird an Schule kaum umsetzbar. Dafür ist das Korsett der Rahmenbedingungen zu eng. Auch Themen von Freiwilligkeit, formaler Mitgliedschaft oder Selbstorganisation sind zu klären. Angebote an Schule sind meist sehr überorganisiert, begründet durch Planungswunsch des Schulträgers und geprägt durch Dienstleistungsverhältnisse (Betreuungsverträge). Kinder- und jugendgerechte Perspektiven fehlen hier meist. Die bisherige Verankerung des Anspruchs wird primär vom Bedarf der Betreuung und aus Sicht der Erwachsenen geleitet. Aus meiner Sicht darf es jedoch nicht der Anspruch an den Ganztag sein, junge Menschen nur zu betreuen. Ganztag für Grundschüler/-innen muss als kindergerechter Ort von Bildung gedacht und realisiert werden. Ein Ort, der Kindern unterschiedliche Zugänge öffnet, um ihre Freizeit zu gestalten. Ein Ort, an dem sie Interessen und Persönlichkeit entwickeln, sich bewegen, erholen und mit Gleichaltrigen im Austausch sind. Während die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) - unter die Jugendverbandsarbeit fällt - in kommunale und (fach-)politische Vernetzungsstrukturen eingebunden ist, z. B. über den Jugendhilfeausschuss, und somit eine ganzheitliche Mitwirkung gegeben ist, ist dies umgekehrt selten Fall. Hier bedarf es dringend einer Klärung und Umsetzung für den Ganztag.

Warum ich entspannt bin?

Das Angst, durch Nachmittagsbetreuung verlieren Jugendverbände massiv an Mitglieder, ist keine neue Angst, gleichwohl jedoch eher unbegründet. Auch die Fragen rund um die Ausfinanzierung der Leistungen sind bekannt. Diese Diskussion wurde bereits vor 20 Jahren in der Jugendhilfe geführt. Ich sehe jedoch keine Verbände, die alleine aufgrund der Tatsache der Einführung des Rechtsanspruches Mitglieder verlieren. Vielleicht kommt nun auch wieder die Zeit, andere Formate auszuprobieren und die Gruppenstunden vereinzelt Samstags stattfinden.  Kann sein. Und dass dies zu Lasten ehrenamtlicher Ressourcen geht, auch möglich. Diese Auseinandersetzung, Diskussion bewegt jedoch auch viel in Verbänden. Sich mit eigenen Angebotsformen zu hinterfragen, ist eben ja auch die Stärke von Jugendverbänden. Und diese haben wir, und werden auch hier die Möglichkeiten nutzen, den Ganztag im Sinne außerschulischer Bildung für und mit Kindern an und in Schule zu gestalten ohne Prinzipien der Jugendverbandsarbeit aufgeben zu müssen.

Jörg Duda, Autor dieses Textes

Jörg Duda ist Geschäftsführer des Bayerischen Jugendrotkreuzes.

Im Blog des Bayerischen Jugendrotkreuzes überwiegt die persönliche Meinung, sie steht über den Inhalten. So gelingt es den Autorinnen und Autoren Themen ausführlich aufzubereiten, zum Nachdenken einzuladen und Diskussionen zu erzeugen.

Die Beiträge im JRK-Bayern-Blog erscheinen unregelmäßig regelmäßig.