Zur Debatte um ein Pflichtjahr

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland und der damit einhergehenden Einstellung der Ersatzdienstformen (z. B. Zivildienst) im Jahr 2011 kommt immer wieder die Diskussion über andere Formen verpflichtenden Engagements auf. So war es Annegret Kramp-Karrenbauer, die 2018 einer Dienstpflicht positiv gegenüberstand oder Frank-Walter Steinmeier im Juni 2022.

 

Vom Fachkräftemangel bis zur unsolidarischen Jugend

Aus meiner Sicht stehen hier verschiedene Ziele, und mit einem Pflichtjahr sollen wohl nun mit Druck junge Menschen diese lösen. Denn zum einen dreht sich die Diskussion immer auch um eine gefühlte Entsolidarisierung in der Gesellschaft. So solidarisch die Gesellschaft mit Wehrpflicht und Zivildienstleistenden war, so unsolidarisch scheint sie seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 geworden zu sein. Und um dies zu heilen, setzt man bei jungen Menschen an, damit dies ihr Leben lang hält. Und zum anderen geht es eigentlich - mal hinter vorgehaltener Hand und mal ganz offen - um die Kompensation des Fachkräftemangel. So gab es Zivildienstleistende, die in Hilfsorganisationen oder Krankenhäusern ihren Dienst absolvierten, und dann z. B. eine Ausbildung anschlossen und über den Zivildienst „dabei blieben“. Auch hierfür eignet sich jedoch ebenfalls ein Pflichtjahr nicht.

Die Pflicht alleine ist unsolidarisch

Viel mehr ist ein Pflichtjahr (oder auch ein anderer Zeitraum) zutiefst unsolidarisch. Wieso dreht sich die Diskussion immer wieder um junge Menschen, die eine immer stärker zunehmende Last und Verantwortung tragen? Warum sind denn nicht Rentnerinnen und Rentner diejenigen, die man zu einem Pflichtjahr in die Verantwortung zieht. Hier wäre der Aufschrei groß, „der Jugend“ ist dies aber zumutbar? Ein falscher Ansatz. Vielleicht helfen interessengeleitete Monate über die gesamte Lebenszeit, drei Monate zwischen Abi und Studienbeginn, zwei Monate vor einem Jobwechsel und noch mal fünf Monate im Rentenalter? Phasen der Neuorientierung im normalen Lebenszyklus und als biografische Stationen einer Vita.

Freiwilligendienste stärken

Ebenso falsch ist in der Befürworter-Diskussion, dass außer Acht gelassen wird, dass sich pro Jahr bereits 100.000 junge Menschen in den Freiwilligendiensten (z. B. FÖJ, BFD oder weltwärts) engagieren. Diese müssen ausgebaut und zugangsoffener gestaltet werden, und es geht um Themen wie Wohngeldanspruch. Hier ist viel freiwilliges Engagement schon jetzt vorhanden, es müssen jedoch auch die Rahmenbedingungen stimmen. Und da hapert es. 

Ehrenamt in Jugendverbänden stärken

Auch die Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement in Jugendverbänden kann helfen. Hier lernen junge Menschen Verantwortungsübernahme als Gruppenleiter/-innen, erwerben soft skills wie Methodenkompetenzen. Eine bessere Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement - fern von Ehrenamtskarten - und eine weniger projektbezogene Ausgestaltung der Fördermittel wären zwei konkret anzugehende Themen. Und übrigens, warum dürfen beruflich tätige Soldatinnen und Soldaten kostenfrei ÖPNV nutzen,  Ehrenamtliche oder Freiwilligendienst-Leistende haben ihre Kosten selbst zu tragen? 

Junge Menschen dürfen nicht gezwungen werden, sich zu engagieren. Das tun sie bereits in großer Zahl - Aktivitäten in Jugendverbänden ist hier nur ein Feld.  Jungen Menschen wird die Klimakrise und ihre Folgen zum Großteil überlassen; die Einschnitte während der Pandemie trugen besonders junge Menschen. Nun - mal wieder erneut - von ihnen zu verlangen, sich mit einem Pflichtjahr für die Gesellschaft einzubringen, das mutet skurril an und zuweilen fern der Realitäten. Wer definiert denn, was „sinnvoll“ ist? Wo sollen die rund 500.000 benötigten Stellen für die Alterskohorte sein, so dass diese arbeitsmarkt-neutral eingesetzt werden können? Zum Vergleich: im Jahr 2003 leisteten gerade einmal 100.000 junge Menschen einen Zivildienst.

Lasst uns diese Diskussion endlich beenden, Freiwilligendienste und Jugendverbände besser ausstatten und alle gewinnen.

Jörg Duda, Autor dieses Textes

Jörg Duda ist Geschäftsführer des Bayerischen Jugendrotkreuzes.

Im Blog des Bayerischen Jugendrotkreuzes überwiegt die persönliche Meinung, sie steht über den Inhalten. So gelingt es den Autorinnen und Autoren Themen ausführlich aufzubereiten, zum Nachdenken einzuladen und Diskussionen zu erzeugen.

Die Beiträge im JRK-Bayern-Blog erscheinen unregelmäßig regelmäßig.