Wie ticken Kinder und Jugendliche heute?
Studien sind ein guter Gradmesser dafür, eigene Positionen zu reflektieren und womöglich Änderungen in der programmatischen und inhaltlichen Ausrichtung vorzunehmen.
Warum sind Studien gut und wichtig für das Jugendrotkreuz?
Kennt ihr das Gefühl, dass um einen herum nur Gleichgesinnte sind? In der JRK-Gruppe, in der Schule oder Ausbildung, im Freundeskreis – irgendwie matcht es. Man fühlt sich verstanden, ganz automatisch. Vielleicht ist es am Ende so etwas wie Betriesblindheit und man erkennt gar nicht so sehr, wie anders andere Menschen ihr Leben bestreiten. Wie die aufwachsen, welche Chancen sich anderen bieten und welche Türen verschlossen bleiben. Türen, von denen man selbst womöglich gar nicht die Idee hatte, dass sie existieren. Das soll jetzt kein Rant „die gegen die“ sein. Ich will nur versuchen, darzustellen, dass es eben aufgrund vom eigenen Leben, eigenem Umfeld oder Algorithmen so ist, dass die Gefahr besteht, „die anderen“ nicht so stark im eigenen Leben wahrnehmen zu können. Da können Neugier und eigenes Interesse helfen. Aber eben auch der etwas abstraktere Blick von einer Studie auf konkrete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene - eben um hier ein bisschen Sortierung hinzubekommen.
Viereinhalb dieser Studien will ich kurz vorstellen. Vor allem, da sie einigermaßen zeitgleich aktuell erschienen sind. Und auch die aktuellen Ergebnisse und Bezugsmöglichkeiten findet ihr hinterlegt.
Sinus-Studie
Einstieg:
Die SINUS-Jugendstudie 2024 „Wie ticken Jugendliche?“ untersucht seit 2008 alle vier Jahre die Lebenswelten 14- bis 17-jähriger in Deutschland. Hierzu wurden 72 qualitative Fallstudien durchgeführt, die von Anfang Juni bis Ende September 2023 stattfanden. Wie in den Vorgängerstudien wird zurückgegriffen auf ein breites methodisches Spektrum: neben Analysen der Interviews enthält der Forschungsbericht Skizzen, Fotos und Collagen sowie eine Vielzahl von O-Tönen der befragten Jugendlichen, die authentische Einblicke in die Lebenswelten liefern. Die Fragestellungen der neuen Studie waren: Wie leben und erleben Jugendliche ihren Alltag? An welchen Werten orientieren sie sich? Welche Lebensentwürfe und -stile verfolgen sie? Wie optimistisch blicken sie in die Zukunft?
Was sind einige der Ergebnisse?
- Die 14- bis 17-jährigen sind besorgter denn je
Die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel, die sich mitunter überlagern und verstärken, stimmt die Jugendlichen in ihrem Allgemeinbefinden ernster und besorgter denn je. - Die „bürgerliche Normalbiografie“ ist immer noch Leitmotiv vieler Teenager
An Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Geborgenheit und der hohen Wertschätzung von Familie hat sich nichts geändert. Wovon viele träumen: eine glückliche und feste Partnerschaft oder Ehe, Kinder, Haustiere, ein eigenes Haus oder eine Wohnung, ein guter Job und genug Geld für ein sorgenfreies Leben. - Die Akzeptanz von Diversität nimmt zu. Die Jugendlichen sind „aware“, aber nicht „woke“
Im Wertespektrum der jungen Generation sind neben Sicherheit und Geborgenheit (Familie, Freunde, Treue) besonders soziale Werte wie Toleranz stark ausgeprägt. Auffällig ist, dass die Akzeptanz anderer Lebensformen und Rollenbilder (Diversität) zunimmt. - Jugendliche wollen gehört und ernstgenommen werden, aber nicht alle wollen mitgestalten
Die Mehrzahl der Jugendlichen möchte mitreden und Gehör finden – ob in der Familie, im (Sport)Verein oder in der Jugendgruppe. - Das politische Interesse und Engagement der Jugendlichen ist limitiert
Die Jugendlichen haben ein Bewusstsein für soziale Ungleichheit, zeigen aber kaum größeres Interesse am Thema. Dasselbe trifft auf Politik generell zu. Das Bewusstsein für politische Themen wird vor allem durch deren mediale Präsenz beeinflusst. Die Mehrheit der Jugendlichen befürwortet ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Einige fühlen sich aber nicht ausreichend dafür vorbereitet. - Awareness für Fake News und die negativen Folgen des Social Media-Konsums
Ein Leben ohne Social Media ist für die meisten Jugendlichen nur schwer vorstellbar. Soziale Medien werden genutzt zum Zeitvertreib, zur Inspiration und zum Socializing – aber auch als Zugang, um Themen und Dinge kennenzulernen und zu verfolgen. Soziale Medien sind für die meisten Teenager die bei weitem wichtigste Informationsquelle.
Bezug der Studie:
Die Studie ist für 4,50 € bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu erhalten. Die PDF ist kostenfrei zu bekommen.
Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung
Einstieg:
Der 17. Kinder- und Jugendbericht wurde im September vorgelegt. Auf über 600 Seiten zeigt dieser die Lage junger Menschen und die Situation der Kinder- und Jugendhilfe. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag und dem Bundesrat in jeder Legislatur diesen Bericht vorzulegen und Stellung zu nehmen. Mit der Ausarbeitung des Berichtes wird jeweils eine Sachverständigenkommission beauftragt. In dieser sitzen auch immer Vertreter/-innen der Jugend(verbands)arbeit, so dass diese Sichtweise Einzug in den Bericht findet.
Der Bericht macht deutlich: Die heutige junge Generation ist die diverseste, die es je gab. Allen ist gemein das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit – das ist in der aktuellen unsicheren Zeit besonders wichtig. Die Kernbotschaft des Berichts lautet entsprechend: Zuversicht braucht Vertrauen! Politik und Gesellschaft sowie speziell die Kinder- und Jugendhilfe sind gefragt, jungen Menschen vertrauenswürdige Rahmenbedingungen zu bieten.
Was sind einige der Ergebnisse?
- Die junge Generation ist so vielfältig wie nie zuvor. Bei aller Vielfalt haben junge Menschen eines gemeinsam: Für gutes Aufwachsen benötigen sie Orientierung und Sicherheit. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stehen vor komplexen Herausforderungen, vor allem durch eine alternde Gesellschaft, globale Fluchtmigration, den Verlust der vermeintlichen Selbstverständlichkeit von Frieden in Europa, eine Demokratie unter Druck, den Klimawandel, zunehmende Digitalisierung und Nachwirkungen der Pandemie.
- Zuversicht braucht Vertrauen! Politik und Gesellschaft sowie speziell die Kinder- und Jugendhilfe sind gefragt, auch in schwierigen Zeiten jungen Menschen vertrauenswürdige Rahmenbedingungen mit Angeboten und Leistungen zu bieten.
- Unsere Gesellschaft verfügt über vielfältige Ressourcen. Noch immer gelingt es Politik und Gesellschaft nicht, diese Ressourcen allen gleichermaßen zugänglich zu machen.
- Die Kinder- und Jugendhilfe ist trotz der Ausnahmesituationen der letzten Jahre funktionsfähig, stößt aber an Grenzen. Vor allem der Fachkräftemangel macht ihr zu schaffen. Um ihren wachsenden Aufgaben nachkommen zu können, ist die Kinder- und Jugendhilfe auf eine auskömmliche Finanzierung und Planungssicherheit angewiesen.
Bezug der Studie:
Der Kinder- und Jugendbericht kann bestellt oder kostenfrei heruntergeladen werden. Hier entlang.
Shell-Jugendstudie
Einstieg:
Seit 1953 identifiziert die Shell Jugendstudie gesellschaftliche Trends. Die 19. Shell Jugendstudie 2024 basiert auf einer Stichprobe von 2.509 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die von Interviewer/-innen zu ihrer Lebenssituation und Einstellungen und Orientierungen befragt wurden. Die Erhebung fand auf Grundlage eines Fragebogens von Januar bis Ende März 2024 statt. Im Rahmen der Studie wurden rund zweistündige vertiefende leitfadengestützte Gespräche mit 20 Jugendlichen dieser Altersgruppe durchgeführt
Was sind einige der Ergebnise?
Die 19. Shell Jugendstudie trägt den Untertitel »Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt«. Sie zeichnet ein differenziertes Bild der Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren in Deutschland: Sorgen und Ängste über Politik, Gesellschaft und Umwelt nehmen zu, sie sehen Probleme und Handlungsbedarf. Viele sind für populistische Positionen empfänglich. Doch von einer generellen Resignation oder Distanz zu Demokratie und Gesellschaft kann nicht gesprochen werden. Die Mehrheit der Jugendlichen sieht hervorragende Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Sie haben Zukunftsvertrauen und blicken positiv auf die Möglichkeiten, die ihnen von Staat und Gesellschaft geboten werden. Der Umgang der meisten jungen Menschen mit den vielfältigen Herausforderungen ist weiterhin pragmatisch. Ihr Wertekanon differenziert sich etwas stärker aus, und dabei artikulieren unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen zum Teil unterschiedliche, nicht immer direkt miteinander zu vereinbarende Haltungen und Lebensziele.
Schlagworte der Kernaussagen:
- Israel und Gazakrieg sind umstritten
- Klimaschutz bleibt ein zentrales Thema
- Politisches Interesse steigt an
- Jugendliche positionieren sich politisch deutlicher
- Das Vertrauen in Institutionen steigt
- Toleranz bleibt Markenzeichen Jugendlicher
- Persönliches Engagement steigt leicht an
- 5 Gruppen sind identifizierbar: Mainstream, Progressive, Verunsicherte, Selbstbezogene und Verdrossene
- Beziehungen und Familien sind Anker
- Beten wird weniger wichtig
- Online-Informationskanäle holen gegenüber klassischen Infomedien auf
- Jugendliche blicken trotz Krisen optimistisch in die Zukunft
Bezug:
Die Studie kann über den Buchhandel bestellt werden. Umfangreiches Zusatzmaterial ist frei verfügbar, u. a. auch eine mehrseitige Zusammenfassung.
KIM- und JIM-Studie
Einstieg:
Seit 1999 führt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) regelmäßig eine Studie zum Stellenwert von Medien im Alltag von Kindern (6 bis 13 Jahre) durch. Die KIM-Studie ist als Langzeitprojekt angelegt, um die sich im permanenten Wandel befindlichen Rahmenbedingungen des Medienangebots und die damit verbundenen Veränderungen abbilden zu können. Sie erscheint alle zwei Jahre. Im Rahmen der KIM-Studie werden jeweils rund 1.200 Kinder mündlich-persönlich sowie deren Haupterzieher schriftlich befragt.
Was sind einige der Ergebnisse?
Kinder in Deutschland wachsen in Haushalten mit zahlreichen Medien auf. Auch wenn sie selber noch wenig eigene Geräte besitzen, nutzen sie Smartphone, Tablet und Co. bei anderen Familienmitgliedern mit. Knapp die Hälfte der Eltern (48 %) geben an, dass ihr Kind alleine ins Internet gehen darf oder dürfte. Insgesamt 70 Prozent der Kinder nutzen das Internet. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil deutlich (6-7 Jahre: 38 %, 8-9 Jahre: 59 %, 10-11 Jahre: 85 %, 12-13 Jahre: 99 %). Ab einem Alter von 10-11 Jahren besitzt mehr als die Hälfte der Kinder ein eigenes Smartphone. Technische Möglichkeiten und Dienstleistungen zum Schutz vor ungeeigneten Inhalten im Netz werden von Eltern kaum eingesetzt. Zwei Drittel der Eltern, deren Kinder das Internet nutzen, geben an, keine technischen Möglichkeiten des Jugendmedienschutzes wie Filter oder Sicherheitseinstellungen zu verwenden. Gleichzeitig zeigt die KIM-Studie 2022, dass immer mehr Kinder Medien selbstständig und ohne Begleitung von Erwachsenen nutzen. Vor allem bei den Sechs- bis Siebenjährigen steigt der Anteil derer, die Medien alleine verwenden.
Bezug der Studie:
Die aktuelle KIM-Studie ist Ende 2023 erschienen und kostenfrei als PDF erhältlich.
Einstieg:
Die Studienreihe JIM (Jugend, Information, Medien) wird vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs), einer Kooperation der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, seit 1998 jährlich in Zusammenarbeit mit dem Südwestrundfunk (SWR) durchgeführt. Die repräsentative Studie bildet das Medienverhalten der Jugendlichen in Deutschland ab. Für die repräsentative JIM-Studie 2023 wurden in ganz Deutschland im Zeitraum vom 30. Mai bis 9. Juli 2023 insgesamt 1.200 Jugendliche im Alter zwischen Zwölf und 19 Jahren befragt.
Was sind einige der Ergebnisse?
2023 sind Jugendliche durchschnittlich 224 Minuten täglich online. Dabei spielen insbesondere Messenger und Social Media eine große Rolle. WhatsApp wird von 94 Prozent regelmäßig genutzt. Instagram belegt mit 62 Prozent Platz zwei, gefolgt von TikTok mit 59 Prozent und Snapchat mit 49 Prozent. Wenn es um onlinebasierte Möglichkeiten geht, Serien, Sendungen und Filme anzusehen, sind vor allem Netflix und YouTube bei Jugendlichen sehr beliebt. 63 Prozent nutzen hierfür regelmäßig YouTube (2022: 50 %), 50 Prozent Netflix (2022: 53 %).
Jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge wurde 2023 im Netz schon einmal sexuell belästigt. 23 Prozent wurden im letzten Monat vor der Befragung ungewollt mit pornografischen Inhalten konfrontiert.
Bezug der Studie:
Die aktuelle JIM-Studie ist Ende 2023 erschienen und kostenfrei als PDF erhältlich.
und sonst so?
HAY-Studie
Einstieg:
Das Forschungsprojekt „How are you?” wurde vom Bayerischen Jugendring (BJR) in Auftrag gegeben, um die Lebenssituation queerer Menschen zwischen 14 und 27 Jahren in Bayern zu untersuchen. Dazu wurde in enger Zusammenarbeit mit Beiräten aus Fach- und Alltagsexpert:innen eine quantitative Online-Befragung erarbeitet, die zwischen April und Juni 2023 mehr als 2.000 Teilnehmende erreichte.
Was sind einige der Ergebnisse?
Wesentliche Erkenntnisse sind:
- LSBTIQA* Identität: Circa die Hälfte der Befragten ist cisgeschlechtlich (cis*), etwas weniger gaben trans*, nicht-binäre und/oder questioning (TNQ*) Geschlechtsidentitäten an. Über die Hälfte benannte (eine) sexuelle Identität(en) auf dem bi+sexuellen, ein Drittel auf dem homosexuellen sowie ein Fünftel auf dem a_sexuellen Spektrum. Der Anteil intergeschlechtlicher Befragter liegt bei unter einem Prozent.
- Wohlbefinden und Resilienz: Sowohl Wohlbefinden als auch Resilienz sind deutlich geringer als bei repräsentativen Befragungen der Allgemeinbevölkerung gleichen Alters. Innerhalb der Studie fallen die Werte für TNQ* Personen niedriger aus als für cis* Befragte.
- Offenheit: Gegenüber Freund:innen zeigt sich die größte Offenheit im Umgang mit der LSBTIQA* Identität, am Arbeitsplatz ist sie am geringsten. Gegenüber der Familie sind die Befragten verschlossener als im Internet.
- Diskriminierung: 93,9% der Befragten gaben eine bis 19 Diskriminierungserfahrungen an, lediglich 5,3% haben keine Diskriminierung erlebt. Bei TNQ* Befragten ist die Diskriminierung höher als bei cis* Befragten. Höhere Diskriminierungserfahrungen gehen mit niedrigerem Wohlbefinden sowie geringerer Resilienz einher. Je mehr Intersektionalitätsdimensionen angegeben wurden, desto höher war das Ausmaß der Diskriminierung.
- Soziale Unterstützung: Knapp die Hälfte der Befragten gab an, zwischen 3 und 5 Personen zu kennen, die sie bei persönlichen Problemen um Unterstützung bitten können. 3,7% gaben an, sich an niemanden wenden zu können. Jüngere, auf dem Land lebende sowie TNQ* Befragte nannten weniger Bezugspersonen als die jeweiligen Vergleichsgruppen.
- Bedarfe: Die große Mehrheit benannte Sensibilisierung zu LSBTIQA* Themen als zentralen Bedarf, u.a. im Kontext von (Hoch-)Schule, Arbeit und Behörden sowie bei medizinischem und psychologischem Fachpersonal. Auch (LSBTIQA*) Freizeitangebote in der Nähe wünschte sich die Mehrheit der Befragten.
Bezug:
Die Studie ist - mit umfangreichem Zusatzmaterial - unter anderem erhältlich auf der Seite des Bayerischen Jugendrings.
Wie belastbar sind die Studien für uns?
Kennt jemand die "Aktion Kummerkasten" des Jugendrotkreuzes? Ich kannte sie jedenfalls nicht. Dennoch fand sie Einzug in den Ersten Kinder- und Jugendbericht von 1965. Dass hier ein Verband explizit hervorgehoben wird, hat Seltenheitswert. Und da sind wir schon beim Kernthema. Alle Studien sind nicht wirklich auf Jugendverbandsarbeit und schon gar nicht auf "Jugendrotkreuz" abzielend. Ist "Jugendrotkreuz" mitgedacht, wenn im Kinder- und Jugendbericht von "Deutsches Rotes Kreuz" geschrieben wird? Sind Jugendverbände wirklich vergleichbar und bräuchte es nicht vielleicht Trennungen inhaltlicher, struktureller oder organisationaler Kategorien?
In manchen Studien werden Jugendverbände kategorisiert z. B. in "Sport" und "andere". Das macht das Herausziehen für uns von konkreten Fakten schwierig bis unmöglich. Die spezifischen Anforderungen an Jugendverbände sind immer zu wenig abgebildet. Es gibt an sich auch keine Studienlage, die diesem Umstand Rechnung trägt - dafür sind Forschungen einfach auch zu teuer und mit der schmalen Personalausstattungen der meisten Jugendverbänden nicht seriös zu bearbeiten. Oftmals werden auch unterschiedliche Formen von "Ehrenamt" zusammengefasst: dass Gruppenleitungen bei uns problemlos 10 Stunden in der Woche einbringen mit Vor- und Nachbereitungen von Gruppenstunden kollidiert damit, dass sie zusammengefasst werden mit Ehrenamtlichen, die im Monat 90 Minuten investieren und somit auch eine verzerrte Darstellung der Bedarfe, des Aufwands und der Intensität entsteht. Um auch etwas abstrakter zu schauen, kann nach Schlagworten in den PDF suchen: erschien das Schlagwort "Jugendverband" beim 16. Kinder- und Jugendbericht 81 mal, ist es jetzt "nur" 26 mal zu finden. Auch das ein Ergebnis, das in eine Bewertung Einzug finden muss, die der Frage nachgeht, wie belastbar solche Studien für uns sind.
Und was bedeutet das alles für das Jugendrotkreuz?
Wenn z. B. 94 % queerer junger Menschen in Bayern Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, dann ist das klar ein Thema für uns. Und zwar nicht abstrakt sondern konkret. Als Bayerisches Jugendrotkreuz wollen wir alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit unseren Inhalten erreichen. Und ein Querschnitt der Menschen Bayerns sind bei uns Mitglied oder in Verantwortung. Jeder und jede trägt somit ihre eigene biografischen Wege zu uns. Und daher können wir uns natürlich nicht versperren vor Entwicklungen. Seit über 75 Jahren ist das Jugendrotkreuz im Wandel. Und der geht weiter. Wir im Gesamt des Verbandes müssen uns immer wieder die Fragen stellen, wo (auch örtlich) wir mit was Schwerpunkte setzen? Macht es Sinn, in einem Gebiet Bayerns unsere per se immer knappen Ressourcen wie personelle Unterstützung in Form von Gruppenleitungen oder Räumen da zu investieren, wo es Besonders schwer ist, Kinder und Jugendliche zu erreichen oder auch: wo perspektivisch einfach ein Bevölkerungswandel geschieht hin zu anderen Orten oder Städten. Oder: macht es gerade Sinn, da jetzt zu investieren, um Kinder und Jugendliche dort nicht von Angeboten eines guten Jugendverbandes abzuhängen und ihnen die Werte und Ideale des Roten Kreuzes zu vermitteln?
Und auch muss sich das Gesamt des Verbandes fragen, welche Kinder und Jugendlichen wir denn überhaupt wie erreichen. Braucht es irgendwo ausschließlich digitale Angebote anstatt der klassischen Präsenzgruppenstunde um neue Interessierte zu gewinnen, die einfach kein Interesse an Fahrerei, an wöchentlichen Terminen oder der Starrheit und Komplexität eines Jugendverbandes haben?
Und: was machen wir als Gesamt des Bayerischen Jugendrotkreuzes mit den nicht unbekannten Entwicklungen von weniger Engagement junger Menschen für das Gemeinwohl? Was das heißt, ist wohl klar: es wird einen größeren Druck geben auf Verbände, junge Menschen zu Gruppenleitungen zu motivieren. Mit was ließe sich dies schaffen? Altruistische Beweggründe werden weniger, junge Menschen wollen sich weniger langfristig binden, brauchen und wollen andere Formen. Wir sind als Bayerisches Jugendrotkreuz sehr gut aufgestellt und an unzähligen Orten mit Gruppen aktiv. Lasst uns diese tollen Voraussetzungen nutzen, um allen jungen Menschen das Rote Kreuz nahe zu bringen. Hierfür brauchen wir je unterschiedliche Formen, Zugänge, Ästhetiken, Ansprachen und Inhalte. Daran können wir im Gesamt gut arbeiten. Lasst uns das tun!
Jörg Duda ist Geschäftsführer des Bayerischen Jugendrotkreuzes.
Im Blog des Bayerischen Jugendrotkreuzes überwiegt die persönliche Meinung, sie steht über den Inhalten. So gelingt es den Autorinnen und Autoren Themen ausführlich aufzubereiten, zum Nachdenken einzuladen und Diskussionen zu erzeugen.
Die Beiträge im JRK-Bayern-Blog erscheinen unregelmäßig regelmäßig.